piwik no script img

Der Berliner atmet Historie

■ Der Tourismusboom nach dem Fall der Mauer ist vorbei: Welches Bild hat Berlin von sich selbst?/ Tourismusmanager beklagen die Agonie der Stadt und die Fixierung auf Olympia

Nein, sagt David Cornell, nein so hätte er sich den Checkpoint Charlie nun wirklich nicht vorgestellt. Ein wenig verloren steht er auf der großen Freifläche, wo einst die Abfertigungshallen der DDR-Grenztruppen standen. »Ich habe gedacht, daß ein wenig mehr übriggeblieben ist«, sagt der 22jährige Student aus San Francisco. Sein erster Berlin-Besuch, eine Enttäuschung also? Oh, no, no, winkt er höflich ab. Brandenburger Tor, Ku'damm, »the friendly people here« — das habe ihn beeindruckt. Aber, fragt er dann doch noch nach, wo sei denn nun die Mauer verlaufen?

Ja, Berlin wird seine Mauer nicht los, einst im Westen die wohl größte Touristenattraktion der Stadt. Nun, da der Großteil abgeräumt ist und zermahlen als Straßenbelag dient, wirkt die Stadt, als sei ein Teil ihrer Identität verloren gegangen. Kurz nach dem Fall der Mauer verzeichnete die Berliner Touristikbranche Rekordumsätze, 1990 gar eine 20prozentige Steigerung. Nun aber geht es — auf »hohem Niveau«, wie das Verkehrsamt nicht müde wird zu betonen — wieder abwärts: Von Januar bis März dieses Jahres übernachteten rund 456.000 Gäste in den Hotels und Pensionen der Stadt, fünf Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die verschiedenen Interessen, mit dem das Image Berlins verbunden wird. Sabine Schröder, Sprecherin der Hotel- und Gaststätteninnung, glaubt, daß die Mauer »ein Selbstläufer« gewesen und in den vergangenen zwei Jahren zu wenig in die Werbung für Berlin investiert worden sei. Hoffnung setzt sie auf die geplante »Tourismus GmbH«, die noch in diesem Jahr eingerichtet werden soll.

Hauptstütze wird mit 60 bis 70 Prozent die Privatwirtschaft sein — den Rest trägt der Senat. Noch ist für die Außenwerbung das senatseigene Verkehrsamt zuständig. Fünf Millionen Mark stehen in diesem Jahr zu Verfügung, zwei Millionen weniger als vor der Maueröffnung. Anzeigen in großen Blättern seien seit langem nicht mehr geschaltet worden, bedauert deren Sprecher Michael Brodersen. Viel stärker bedrückt ihn jedoch seit geraumer Zeit die »fehlende euphorische Stimmung innerhalb der Stadt«. Gerade das Beispiel von Barcelona, dem diesjährigen Austragungsort der olympischen Spiele, mit seinen architektonischen Neuigkeiten zeige, wie sehr das optimistische Bild einer Stadt das Interesse beeinflusse. Stattdessen wehe jedoch Berlin bundesweit »ein eiskalter Wind« entgegen, der bis zu einer »feindlichen Stimmung« reiche: »Da kann man noch so viele Hochglanzprospekte produzieren — an diesem Punkt knackt es dann«. Die Mafia, das Verkehrschaos, die Olympiaplanung — das sind seiner Ansicht nach einige der negativen Attribute, mit dem vor allem die Hauptstadt in der Öffentlichkeit in Zusammenhang gebracht wird.

Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes des Einzelhandels (GdE), sieht in Berlin »Agonie« und »mangelnde Entscheidungsfreude« am Werke. So sei es beispielsweise noch nicht gelungen, den »Verkehr fließend durch die Stadt zu leiten«. Sein Verband wende sich gegen die »pauschale, konzeptionslose Formulierung von der ‘Autofreien Innenstadt‚«. Was Busch-Petersen zudem ärgert, ist die einseitige Fixierung auf Olympia, mit der das neue Berlin verbunden wird: »So zu tun, als wäre die Stadt ohne Olympia dem Tod geweiht, ist doch blödsinnig«.

Gerade das Thema Olympia steht aber beim Senat im Mittelpunkt einer Tourismuskonzeption. Im Frühjahr dieses Jahres präsentierte das Münchener Institut IPK im Auftrag von Wirtschafssenator Norbert Meisner (SPD) eine Studie mit dem sinnigen Titel »Sparkling Berlin«, zu deutsch »prickelndes Berlin«. Neben der Attraktivität einer »riesigen Werkstatt« werde die Olympia-Entscheidung »starken Einfluß« darauf haben, wie Berlin »in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts von der Welt gesehen wird«. Prognose für das Jahr 2000: Zwischen 16 und 20 Millionen Besucher jährlich ( zum Vergleich: 1991 hatte Berlin 8,7 Millionen Gäste).

Wie aber sieht sich Berlin heute, wo angesichts drastischer Haushaltskürzungen ein »prickelndes Gefühl« sich so gar nicht einstellen will? Für Brodersen vom Verkehrsamt ist die »ganz Palette der Kultur, vom Tacheles bis zur Deutschen Oper« der Fundus, aus dem Berlin heute und in Zukunft schöpfen kann. Kürzungspläne des Senats, etwa die angedachte und schließlich verworfene Schließung der Deutschen Oper, würden nur das Angebot mindern und wirkten sich »schädigend auf den Tourismus aus«.

Abseits aller kulturellen Angebote hält Berlin für Busch-Petersen, der bis 1989 »hinter der Mauer ausgehalten hat«, einen gewaltigen Trumpf in der Hand, wie er erst kürzlich wieder feststellen konnte: Ein schwedischer Gast, den er durch den Ostteil führte, sei von den Einschußlöchern an den Häusern »ganz fasziniert« gewesen. Er sei zwar nicht dafür, alles zu konservieren, aber »ein bißchen von dem, was gewesen ist, sollten wir erhalten«. Berlin sei schließlich der einzige Ort in der Welt, wo »die Historie an jeder Ecke noch atmet«. Eine Feststellung, der David Cornell wohl auch zustimmen würde. Severin Weiland

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen