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»Vom neuen Eigentümer nicht alles gefallen lassen«

■ Nach dem Urteil des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichte erwarten Experten eine Umwandlungs- und Kündigungswelle auch in Berlin/ Eigenbedarf häufig vorgeschoben/ Die Preise vermieteter Eigentumswohnungen werden sinken, sagen Makler

Berlin. »Eine Katastrophe«, urteilt Hanka Fiedler, die Sprecherin der Selbsthilfegruppe gegen Eigenbedarf des Berliner Mietervereins. Nach dem Urteil des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichte vom 30. Juni diesen Jahres dürfen Mietwohnungen im Altbau nun wieder in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Nun, befürchtet nicht nur Frau Fiedler, droht vielen Mietern langfristig eine Kündigungswelle. Denn der neue Vermieter einer umgewandelten Wohnung kann — nach einer Schutzfrist von fünf Jahren — Eigenbedarf geltend machen. Und nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von vor drei Jahren kommen Eigentümer damit auch durch. Denn seit diesem Urteil muß nicht mehr zwischen den Bedürfnissen des Mieters und des Vermieters abgewogen werden.

Keine Handhabe mehr gegen Umwandlungen

Um diesen Kündigungen einen Riegel vorzuschieben, hatten die Berliner Behörden seit Ende 1989 die sogenannte Abgeschlossenheitsbescheinung, die Eigentümer zur Umwandlung brauchen, nicht mehr erteilt. Damit wurde eine laufende Umwandlungswelle gestoppt: Über 85.000 Westberliner Altbauwohnungen waren bis zu diesem Zeitpunkt umgewandelt worden, circa 5.000 bis 6.000 waren es im Jahr. Noch wesentlich mehr Wohnungen wird es nach dem Urteil pro Jahr treffen, meint Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Zum einen liegen Tausende von Anträgen auf Umwandlung auf Halde. Inzwischen können auch Wohnungen in Ost-Berlin umgewandelt und verkauft werden, soweit es die ungeklärten Eigentumsverhältnisse zulassen, so daß Vetter mit bis zu 10.000 Umwandlungen im Jahr rechnet. In Ost-Berlin, schätzt Berlins größter Makler Willy Bendzko, sind bereits jetzt knapp tausend Wohnungen zu Wohneigentum umgewandelt.

Was mit diesen Mietern geschieht, kann man in West-Berlin ablesen. Nur zehn Prozent der umgewandelten Wohnungen sind an die dort wohnenden Mieter verkauft worden, ein Drittel der Mieter hat die Wohnung verlassen müssen, viele andere haben mit Kündigungsprozessen zu kämpfen. Zu den kündigungswilligen Wohneigentümern gehören übrigens auch viele Mieter, die selbst von einer Kündigung bedroht sind, weiß Hartmann Vetter. Denn Eigentumswohnungen werden, so der Ring Deutscher Makler in seiner neuesten Bilanz, hauptsächlich für eigene Wohnzwecke und weniger stark von Anlegern gekauft.

Ein Drittel der Mieter muß gehen

Zur Zeit gibt es 2.000 Prozesse wegen Eigenbedarfskündigung im Jahr, so die Senatsbauverwaltung. Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen selbst ist jedoch mit Sicherheit fünfmal so hoch, weiß Hartmann Vetter. Viele Mieter ziehen entweder vorzeitig entnervt aus oder lassen sich auf einen Vergleich ein. Denn Vermieter, die eine Wohnung freibekommen wollen, lassen sich einiges einfallen, um die Mieter herauszuekeln, berichtet Frau Fiedler. Vor allem ältere Leute lassen sich leicht einschüchtern. Wenn die Kündigung nicht zieht, macht der Vermieter eben nächtlichen Telefonterror, schickt Bauarbeiter in Haus, kündigt Mieterhöhungen an oder veranstaltet allwöchentliche Besichtigungstouren von potentiellen Käufern durch die Wohnung. Außerdem, erzählt Frau Fiedler, gebe es häufig westdeutsche Hausbesitzer, die renitenten Mietern drohten, nach Berlin zu ziehen und dann eben Eigenbedarf anzumelden. Vor allem bei Mietern, die gerade eine Mieterhöhung oder eine Modernisierung verweigert haben, ist das der Fall. Hanka Fiedler: »Wenn es schriftliche Unterlagen über solche Rechtsstreitigkeiten gibt, hat der Mieter vor Gericht gute Karten nachzuweisen, daß der Eigenbedarf nur vorgeschoben ist.«

2.000 Prozesse im Jahr

Denn das ist häufig der Fall. Zwischen 60 und 70 Prozent der Vermieter, schätzt Hanka Fiedler, wollen nur den Mieter herausbekommen, um die Wohnung, die dann im Preis steigt, besser verkaufen zu können. Denn das macht Hunderttausende von Mark aus. Eine vermietete Eigenumswohnung kostet, so Makler Bendzko, zwischen 2.700 und 3.000 Mark den Quadratmeter. Diese Preise werden nach dem Urteil mindestens stagnieren, wenn nicht sinken, schätzt Bendzko. Eine leere Eigentumswohnung bringt hingegen unverändert zwischen 4.000 und 5.000 Mark — den Mieter herauszuklagen, lohnt sich da schon. Und anders geht es auch kaum. »Einen vertragestreuen Mieter kriegen Sie heutzutage nur über eine Eigenbedarfskündigung raus«, heißt es in Hausbesitzerkreisen.

Und dies alles wird vom Steuerzahler noch bezuschußt. Über den sogenannten Häuslebauerparagraphen 10e werden Erwerber von Eigentumswohnungen — auch bewohnten — großzügige Steuererleichterungen eingeräumt, als ob sie eine neue Wohnung schaffen würden. Von dieser Regelung profitiert bespielsweise auch die Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) selbst mit ihren circa 15.000 Mark monatlichen Bruttoeinkommen und ihrem nicht unerheblichen Steuersatz. Die Ministerin besaß bis Anfang 1991 eine Wohnung in der Bonner Riemannstraße in Bonn, mit deren Erwerb sie bis zu tausend Mark Steuern im Monat sparen konnte.

Auf großstädtische Verhältnisse umgerechnet nehmen sich solche Summen noch ganz anders aus. Auf rund eine Milliarde Mark schätzt Hartmann Vetter die Steuerausfälle allein in Berlin, die wegen des Erwerbs von »Gebrauchtwohnungen« den Staatssäckel schädigen. Nicht nur der Berliner Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) fordert deshalb, diese steuerlichen Begünstigungen für den Erwerb von Altbauten abzuschaffen. Auch in Teilen der Bundes- CDU hätte man dafür Sympathie. Nur die FDP und ihre Ministerin wehren sich mit Händen und Füßen dagegen. Der Mieterschutz, so verkündeten Irmgard Schwaetzer und ihre FDP-Kollegin Sabine Leuthheuser-Schnarrenberger aus dem Justizressort, reiche aus.

Das sieht man in Berlin anders. Ein Berliner Antrag, auch von der CDU mitgetragen, liegt derzeit im Bundesrat. Demnach soll eine Eigenbedarfskündigung gegenüber dem Mieter, der bei dem Kauf der Wohnung dort bereits wohnte, generell ausgeschlossen sein. »So ein Käufer weiß ja, worauf er sich einläßt«, begründet dies Nagel. Kündigt der Vermieter und nutzt nachher die Wohnung nicht selbst, muß er nachweisen, daß die Kündigung nicht mißbräuchlich war — bisher liegt die Beweislast beim Mieter. Dann wird eventuell Schadensersatz fällig.

Nachdem dieser Antrag bei der jetzigen Koalition im Bundestag aber wohl kaum Aussicht auf eine Mehrheit hat, sind die Mieter erst einmal auf Selbsthilfe angewiesen. »Lassen Sie sich nicht alles gefallen«, rät Nagel, der in seiner Oppositionszeit selbst einmal eine Selbsthilfegruppe gegen Umwandlungspekulation im Corbusierhaus geleitet hat. »Am besten, Sie überreichen dem potentiellen Käufer gleich eine Mängelliste und weisen ihn darauf hin, was in der Wohnung alles gemacht werden müßte«. Eva Schweitzer

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