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Serbischer Großangriff auf Gorazde

Trotz der Friedensbemühungen des neuen jugoslawischen Ministerpräsidenten Panic versuchen die serbischen Einheiten weitere Landgewinne zu erzielen/ Erste Nato-Schiffe in die Adria gestartet  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Während die Welt auf Sarajevo blickt, flammen die Kämpfe in der bosnischen Provinz in ungewohnter Schärfe auf. Am Wochenende starteten serbische Einheiten ihre Offensiven sowohl im Norden als auch im Süden der Republik. Zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges nahmen sie jedoch auch die Stadt Gorazde, siebzig Kilometer östlich von Sarajevo, unter Granatfeuer. Seit Freitag früh wird sie ununterbrochen mit schwerem Geschütz und Kampfbombern angegriffen, 40 Panzer sollen „im Anmarsch“ sein.

Glaubt man den Berichten des Fernsehens in Sarajevo, so sind serbische Kampfverbände an einer Stelle in die Stadt eingedrungen und haben dort ein „höllisches Massaker“ angerichtet. Dutzende von Menschen sollen getötet, Hunderte verletzt worden sein. Laut Fernsehbericht sterben in Gorazde zudem täglich mehrere Menschen an den Folgen von Unterernährung.

Die 100.000-Einwohner-Stadt an der Drina beherbergt seit etwa zwei Monaten 30.000 Flüchtlinge. Als die Kämpfe in Sarajevo ausbrachen, flüchteten Zehntausende aus der Hauptstadt in diese muslimanische Enklave in der Hoffnung, von dort über das nahe Montenegro in Sicherheit zu gelangen. Serbische Truppen schnitten den Verzweifelten jedoch jeden Fluchtweg ab. „Gorazde, Bihac, Zvronik wurden so zu einem der 27 großen Konzentrationslager in unserem Land.“

Diese Worte äußerte am Freitag der bosnische Präsident Alia Izetbegovic. Zugleich richtete er erneut einen Appell an die Vereinten Nationen, militärisch in seinem Land zu intervenieren, um der Aggression ein Ende zu setzen. Da Hunderttausende als „Geiseln in Massenlagern“ festgehalten werden würden, könnten Massaker an der Zivilbevölkerung nicht ausgeschlossen werden.

Den Fluchtpunkt Gorazde ereilte ein ähnliches Schicksal wie Sarajevo. Mit dem Unterschied, daß in diese bosnische Stadt seit fünfzig Tagen kein Hilfstransport mit Nahrungsmitteln und Medikamenten durchkam, die Strom- und Wasserversorgung vollkommen zusammengebrochen ist, angeblich Tausende an einer heimtückischen Darmseuche erkrankten. Während serbische Zeitungen davon nichts wissen wollen, sendet der bosnische Rundfunk stündlich neue Horrormeldungen.

Statt dessen spricht Belgrad — wie immer — von „Verteidigungsoperationen“, um das serbische Volk in Bosnien „vor dem Genozid zu bewahren“. Das Regierungsblatt 'Politika‘ titelte am Wochenende sogar in Anspielung auf den John-Lennon- Hit Give peace a chance und beschreibt seitenlang die „Friedensbemühungen“ des neuen jugoslawischen Regierungschefs Panic. Dieser war in der letzten Woche trotz offizieller „Ausladung“ zur KSZE- Konferenz nach Helsinki gereist. Dabei unterließ Panic es jedoch, den bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic aufzusuchen und ihm ein konkretes Friedensangebot zu unterbreiten. Setzt die serbische Opposition mittlerweile auf den Amerikaner serbischer Abstammung, so scheint Panic nichts weiter als eine Marionette in den Händen des serbischen Präsidenten Milosevic zu sein. Sein Versprechen, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um zumindest die Kampfhandlungen in Bosnien einzudämmen, folgten keine Taten. Im Gegenteil: Während aus Lissabon die ersten Kriegsschiffe der Nato in die Adria auslaufen um das Handelsembargo der UNO zu überwachen, versuchen serbische Verbände in Bosnien weitere Landgewinne zu erzielen. Die Entsendung der Schiffe wird in Kreisen serbischer Militärs bereits als „Kriegserklärung“ der Nato an Belgrad verstanden, gegen die man sich nun genauso zu wehren habe, wie gegen die „bosnische und kroatische Aggression“.

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