Mitteldeutscher Rundfunk beerbt Sudel-Ede

Mit „Fakt“ hat der Osten ab heute wieder ein Politmagazin — eine „Mischung aus Information und Emotion“  ■ Von Micha Schulze

Beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) wächst noch zusammen, was zusammen gehört. Wenn die tiefschwarze Dreiländeranstalt für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die ARD heute um 21.45 Uhr erstmals mit dem neuen Politmagazin „Fakt“ bestückt, sticht schon die Wahl des Titels als Musterbeispiel für einen behutsamen Einigungsprozeß heraus. Während man in der DDR-Umgangssprache unter Fakt eine Tatsachenbehauptung verstand, kennt man im Westen unter diesem Namen auch ein Waschmittel.

Zu den Saubermännern von „Report München“ und Karl Eduard von Schnitzlers Vorgängermagazin „Schwarzer Kanal“ geht die „Fakt“- Crew freilich auf Distanz. „Eine Moderation von der Kanzel gibt es bei mir nicht“, betont MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich, der nach Lehrjahren bei der Bild-Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk die Karriereleiter nach Dresden erklomm. „Natürlich wird „Fakt“ eine eigene Meinung haben, aber keine vorgefaßte“, schwächt MDR- Fernsehdirektor Henning Röhl Kenntemichs Aussage ein wenig ab. Doch angesichts der ostdeutschen Erfahrungen mit „Sudel-Ede“ habe „Fakt“ im Gegensatz zu den ARD- Politmagazinen „Kontraste“, „Panorama“, „Monitor“ und „Report“ das Konzept eines Meinungsmagazin verworfen.

Allerdings nicht ganz: Mit einer „Mischung aus Information und Emotion“ (Redaktionsleiter Wolfgang Fandrich) will sich Fakt vornehmlich ostdeutschen Themen und Sichtweisen annehmen. „In der Gesamtberichterstattung der ARD ist der Osten unterbelichtet“, führt Kenntemich als Begründung an. Die „Fakt“-Redaktion im Leipziger Landesfunkhaus setzt sich immerhin zu gleichen Teilen aus Ostlern und Westlern zusammen, als vorbildlich quotiert muß das Moderatorenduo aus dem früheren Bonner ZDF-Korrespondenten Wolfgang Fandrich und der ehemaligen DFF-Redakteurin Christine Schönfeld gelten. Wer bei „Fakt“ die Hosen anhat, ließ jedoch die Pressevorstellung letzte Woche in Berlin erahnen: Fandrich beantwortete die Journalistenfragen, Schönfeld stand lächelnd im Hintergrund und nickte brav mit dem Kopf.

Von den anderen, leicht angestaubten ARD-Magazinen will sich „Fakt“ vor allem in der Form unterscheiden. „Wir wollen Neues ausprobieren und damit innovativ in die ARD hineinwirken“, steckt sich Wolfgang Kenntemich ein hohes Ziel. Doch sämtliche „Neuerungen“ wurden von den Kommerzsendern abgekupfert: Um aktuell zu sein, setzt sich jede Sendung einen „Schwerpunkt“, dazu kommen Liveeinspielungen vor Ort und eine „Umfrage der Woche“. Zu den festen Elementen zählt auch die „Begegnung“, das unerwartete Aufeinandertreffen zweier Personen. Bei Probeaufnahmen führte „Fakt“ beispielsweise den angeblich schwulen Bundeswehr-General a.D. Gerhard Kießling mit dem Stasi-Offizier zusammen, der das Homo-Gerücht verbreitet haben soll.

Nicht zuletzt taucht in jeder Sendung der Reporter Kuno auf, der laut Pressetext „Menschen zu ungewöhnlichen Aktionen“ verleiten soll. Dröges Beispiel: Ein Honecker- Double wird durch die Paßkontrolle am Flughafen geschickt und die Reaktionen von Passanten und Grenzbeamten eingefangen. Mit Kuno soll aber nicht der Nachholbedarf aller unglücklichen Ostler befriedigt werden, die vierzig Jahre lang auf Kurt Felix versteckte Kamera verzichten mußten, sondern aktuelle politische Themen auf spielerische Weise transportiert werden. Wie sich „Fakt“ dem Rassismus annehmen würde, erläutert Moderator Fandrich: Kuno stellt sich vor den Eingang eines zoologischen Garten und zeigt das Schild „Deutsche Tiere in deutsche Zoos“.

Wenn „Fakt“ heute abend zum ersten Mal über die Mattscheiben flimmert, ist ein Herzenswunsch des MDR in Erfüllung gegangen. Anders als der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg, der aus chronischem Geldmangel kein eigenes Politmagazin produziert, wollte der MDR auf ein solches Aushängeschild nicht verzichten. Doch der Aufschrei der Schwesternanstalten, nachdem der MDR seinen Wunsch bei der ARD vorgetragen hatte, ist bis heute nicht verklungen. Kein Sender ist bereit, den Senderhythmus der politischen Magazine von fünf auf sechs Wochen zu erweitern, geschweige denn den eigenen Sendeplatz an den MDR abzutreten.

Noch bis Ende des Jahres kann „Fakt“ einmal im Monat auf den „Brennpunkt“-Termin am Mittwoch ausweichen. Doch wie es 1993 weitergeht, ist ungewiß. Geht es nach MDR-Fernsehdirektor Röhl, soll es in der ARD statt einen künftig zwei feste Sendeplätze in der Woche für die politischen Magazine geben, die dann im Dreiwochenrhythmus ausgestrahlt werden könnten. Der MDR würde in diesem Fall auch eine Verkürzung auf dreißig Minuten hinnehmen — für Röhl ist das ohnehin die „Länge der Zukunft“.