: Der Schal ist weiblich
■ Fotoarbeiten von Sarah Charlesworth in der Galerie Carola Mösch
Er gilt als Symbol männlicher Potenz: Das Abbild des brünftig röhrenden Hirsches hatte lange Zeit seinen festen Platz über dem ehelichen Bett, aber auch das Tafelbild von der Hirschjagd, das im 17. Jahrhundert fürstliche Säle schmückte, zeigt ein männliches Ritual, das Kraft und Geschicklichkeit voraussetzt. »Stag«, das englische Wort für Hirsch, bedeutet in der Umgangssprache »Herr ohne Dame«, und »stag« heißt auch die Cibachrome-Arbeit, die Sarah Charlesworth 1984 von einem prachtvollen Achtender angefertigt hat. Das Porträt zeigt das Tier von schräg unten im Halbprofil. Wie eine Jagdtrophäe scheint es aus der leuchtendroten Fläche zu ragen, die Charlesworth mit einem changierenden Lack überzogen hat.
Um diesen Effekt wahrnehmen zu können, muß der Betrachter allerdings einigen Abstand von dem Götzenbild wahren. Der Hirsch ist Teil eines Diptychons, das die Galerie Carola Mösch derzeit mit drei weiteren Arbeiten der amerikanischen Künstlerin vorstellt. Zu ihm gehört die Aufnahme von einer blonden Locke vor schwarzlackiertem Hintergrund. Nichts weist darauf hin, daß das Haar von einem Frauenkopf stammt. Doch die geschwungene, elegante Linie der Strähne und ihre aufgehellte Farbe, die Friseurhand verrät, lösen diese Schlußfolgerung sofort aus. Oder können sie zumindest auslösen. Denn Charlesworth stellt es den Betrachtenden, die ihre eigenen, sicher vom Sexus abhängigen Assoziationen entwickeln, frei, den geschlechtlichen Gegensatz zu Hirschen zu konstruieren. Sie liefert nur das Material.
Die geschlechtsspezifischen Konnotationen des Begriffs »blond« haben auch die beiden Amerikanerinnen Cindy Sherman und Marlene McCarty mit Fotos und in Rauminstallationen demontiert, durch Stilisierung der porträtierten Frau zum Typ oder durch Verfremdung sexuell aufgeladener Idiome, die bis ins Absurde führt. Charlesworth dagegen, fast zehn Jahre älter als Sherman und McCarty, hat mit »Blonde« zunächst nur ein Duplikat dessen geschaffen, was in der populären Ästhetik wie der der Warenkultur täglich hergestellt wird: Die Oberfläche des Produkts läßt sie unberührt. Charlesworths Intention, die stereotypen Darstellungen von Mann und Frau in Frage zu stellen, ohne ein Urteil über vermeintliche Opfer und Täter zu fällen, zeigt sich erst in der Kombination der Ikonen.
Noch deutlicher wird dieses Verfahren in einem zweiten Diptychon, das Charlesworth ein Jahr zuvor erstellt hat. White T-Shirt/Red Scarf zeigt rechts weiße Herrenunterwäsche, die sich, ähnlich wie in den Annoncen großer Textilhersteller, über einem unsichtbaren, muskulösen Körper wölbt. Deutlich hebt sich in der Unterhose der Penis ab. Links umflort ein roter Schal einen Hals, der, wenn auch ebenfalls unsichtbar, vermutlich weiblicher Natur ist. Zwei spätere Collagen stecken in der Galerie Carola Mösch dann den gesellschaftlichen Rahmen von Charlesworths Beweisführung ab. Gold (1986) bringt Herrschersymbole und Luxusgegenstände aus verschiedenen Jahrtausenden, wie die Würdenzeichen der Pharaonen und Designeruhren, in ein Spannungsfeld aus Sinnlichkeit und Macht, das nur von einem unschuldig wirkenden Damenhemdchen gestört wird. Subtle Body (1989) schließlich erzählt diese Kulturgeschichte mit Fotografien von Korallen, Embryos und Relikten vorzeitlicher Kulturen noch einmal aus anthropologischer Sicht.
Object of Desire, wie der Titel der vier Exponate lautet, ist nach den Ausstellungen von Cindy Sherman und Laurie Simmons der dritte und letzte Teil einer Reihe, mit der die Galerie feministische Foto-Künstlerinnen aus den USA vorstellt. In diesem Zusammenhang fällt die didaktische Präsentation von Charlesworths Arbeiten nicht mehr störend auf. Die NGBK, die zur gleichen Zeit zufällig Ida Applebroog und Marlene McCarty ausstellte, hat dabei der Galerie und ihrem Willen zum Exempel unversehens Beistand geleistet. Claudia Wahjudi
Pariser Straße 2, bis zum 1.8., Di.-Fr. 11-18, Sa. 11-14 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen