: Menschenrecht auf körperliche Unversehrheit
■ betr.: "Konflikt um Klitorisbeschneidung", taz vom 11.7.92
Betr.: „Konflikt um Klitorisbeschneidung“, taz vom 11.7.92
Da hätte ich doch gerade von Euch eine umfassendere Berichterstattung erwartet. Selbst die UNO ist inzwischen, nach Jahrzehnten der Aufklärungsarbeit von MedizinerInnen, Betroffenengruppen und so weiter in Afrika und auch Europa soweit, daß sie die Klitorisbeschneidung als eine Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit betrachtet.
Die Betroffenen sind keine Frauen, wie Herr de Bruin in der zweiten Zeile bereits mißverständlich (oder unreflektiert) formuliert, sondern fünf- bis zwölfjährige Kinder. Je jünger das Mädchen, desto weniger wehrt es sich, so wissen die Datschas, die Frauen, die die Praktiken neben Geburtshilfe hauptberuflich durchführen. Teilweise wird zum Beispiel die Infibulation im Sudan ohne jede hygienische Maßnahme (oft nur mit einem Messer) durchgeführt, so daß ExpertInnen einen erheblichen Anteil der Kindersterblichkeit auf Beschneidungspraktiken zurückführen.
Diese Unterdrückungsmaßnahme kann nun wahlweise auf soziobiologische Gründe (Monopolisierung des Fortpflanzungspotentials der Frau durch den Mann1) oder auf patriarchale Unterdrückung weiblicher Sexualität und Emanzipationsbestrebungen2 zurückgeführt werden — fest steht, daß die Mädchen ein Trauma fürs Leben behalten (siehe Betroffeneninterviews in 2) und vor beziehungsweise während der Prozedur schlimmste Ängste und körperliche Qualen erleiden müssen, wie es auch Fotos in einer Aufklärungsbroschüre von Alice Schwarzer et al. dokumentieren. [...]
Selbst sogenannte „nichtverstümmelnde Beschneidungen“ — was ist denn das Ihrer Meinung nach, „Herr“ de Bruin, bitteschön, daß Ihnen zu dieser Formulierung gar kein Kommentar einfällt? — sind in keinster Weise mit „Tradition“ zu rechtfertigen, wenn sie von einem Menschen (Kind) als qualvoll erlebt werden und von Initiativen von Betroffenen desselben Kulturkreises bekämpft werden!
Die Tatsache, daß Mütter oder Großmütter die Klitorisdektomie als „Tradition“ bewahren und befürworten, hängt untrennbar mit der Unterdrückung der Frau in diesen Regionen/Ländern zusammen: Solange eine unbeschnittene Frau a) als Hure gilt und b) sich kaum jemals verheiraten könnte, hat sie schlicht und einfach eine geringe Überlebenschance, wenn nicht sogar in weitab gelegenen ländlichen Gebieten gar keine. Welche Mutter würde nicht die Verstümmelung, die sie ja selbst ebenso überlebte, dem Verlust ihrer Tochter vorziehen?
Forderungen, die Klitorisdektomie zu unterbinden, müssen also Forderungen nach Aufklärung und nach Bildungsmöglichkeiten sowie sozialer Unterstützung für Frauen beinhalten.
1Christian Vogel: „Die Sexualmoral der Menschen (o.ä.) in „Vom Töten zum Mord“
2Nawal el Saadawi: „Tschador. Die Frau im Islam“, 1980. Die Autorin ist Ärztin und war bis zu dem Zeitpunkt, da sie Praxiserfahrungen mit beschnittenen Frauen veröffentlichte, im ägyptischen Gesundheitsministerium tätig. Sibylle M., West-Berlin
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