: Im Schatten des Außerirdischen
■ In den Augen der Konkurrenz hat der Spanier Miguel Induráin die 79. Tour de France so gut wie gewonnen/ Was bleibt, sind Etappensiege: Den elften holte sich Altmeister Laurent Fignon
Berlin (taz) — Als der zweimalige Tour-Sieger Laurent Fignon die 11. Etappe der 79. Tour de France in Angriff nahm, hatte er noch eine gehörige Portion Wut im Bauch. Beim Zeitfahren in Luxemburg zwei Tage zuvor war ihm die Demütigung widerfahren, vom sechs Minuten nach ihm gestarteten Miguel Induráin kurz vor der Ziellinie überholt zu werden wie ein lausiger Rad-Domestike. Grund genug für Fignon, in den Vogesen noch einmal alte Größe zu demonstrieren. 100 Kilometer hinter Straßburg begann er seinen Angriff, überholte alle vor ihm liegenden Fahrer, setzte sich beim Aufstieg zum 1.360 Meter hohen „Grand Ballon“ an die Spitze und legte die letzten 63 Kilometer in imposanter Manier allein zurück. Zeitweise betrug sein Vorsprung über zwei Minuten, schmolz auf den letzten Kilometern jedoch immer weiter zusammen. Fignon mußte in den Straßen von Mülhausen sämtliche Energiereserven mobilisieren, um sich mit 12 Sekunden Vorsprung vor seinen Verfolgern ins Ziel zu retten. Das Feld mit den Favoriten kam 22 Sekunden nach dem 31jährigen Franzosen ins Ziel, das Gelbe Trikot behielt der Franzose Pascal Lino.
„Es ist lange her, daß ich einen Tag wie diesen erlebt habe“, jubilierte Fignon, der seine letzte Tour- Etappe 1989 gewonnen hatte, damals den Gesamtsieg aber um acht Sekunden, die Greg LeMond schneller war, verpaßte. „Ich wußte, ich konnte es mir wegen des Ruhetages leisten, am Ende müde zu sein“, erläuterte Fignon seinen Vorstoß, „also gab ich alles, was ich hatte.“
Trotz des gestrigen Ruhetages hätte Fignon aber von seiner Mannschaftsleitung kaum die Genehmigung für eine solch kraftraubende Attacke bekommen, wenn diese nicht die Hoffnung auf einen Toursieg ihres Kapitäns Gianni Bugno nach der beeindruckenden Vorstellung des Titelverteidigers Miguel Induráin beim Zeitfahren bereits aufgegeben hätte. Schließlich stehen am Wochenende zwei schwere Alpenetappen auf dem Programm. „Induráin hat die Tour gewonnen“, sagte der demoralisierte Bugno schon in Luxemburg, „meine Pflicht ist es, anzugreifen, aber nur ein Sturz oder Krankheit kann ihn vom Triumph abhalten.“ Die Frage, auf welchem Terrain er denn am ehesten eine Chance habe, den Spanier einzuholen, beantwortete Bugno mit bitterem Galgenhumor: „Beim Zeitfahren in Tours“ — und hatte wenigstens die Lacher auf seiner Seite.
Etwas kämpferischer äußerte sich Greg LeMond, der auf der 11. Etappe anfangs Schwierigkeiten hatte, am Schluß aber vom fünften auf den vierten Rang der Gesamtwertung vorrückte, weil der bis dahin drittplazierte Däne Jesper Skibby auf den 19. Platz abrutschte. „Die Tour ist nicht beendet“, konstatierte der Amerikaner trotzig. „Die Tour endet nie, bevor sie in Paris ankommt. Er kann nicht alle seine Feinde bis zum Schluß kontrollieren.“ Und auch Fignon gibt nicht auf: „Ich denke immer noch, daß Gianni und ich eine Chance haben, die Tour zu gewinnen. Jeder sagt, daß Induráin auf einem anderen Planeten ist. Ich hoffe, er bleibt dort.“
Dem Spanier selbst ist es eher peinlich, daß er allenthalben als „Außerirdischer“ bezeichnet wird. „Das mit dem Außerirdischen überlasse ich der Presse. Mich geht das nichts an.“ Und sein Teamchef José Miguel Echávarri stellt endgültig klar: „Miguel ist kein Außerirdischer. Er bereitet sich nur besser vor als andere. Das ist alles.“ Honni soit qui mal y pense.
Gut vorbereitet ging auch der Schussenrieder Rolf Gölz auf die Vogesen-Etappe. Gleich nach dem Start riß er aus, fuhr 130 Kilometer allein vorneweg, teilweise mit einem Vorsprung von mehr als zwölf Minuten. Am „Col de la Schlucht“ war er jedoch mit den Kräften am Ende, wurde eingeholt und kam schließlich fast 14 Minuten nach Fignon in Mülhausen an.
Weit übler erging es dem erneut mit großen Ambitionen in die Tour gestarteten Leipziger Uwe Ampler. Mit schweren Beinen quälte er sich die Steigungen hinauf, dachte mehrmals an Aufgabe, verlor insgesamt 25:12 Minuten auf den Tagessieger, fiel auf den 73. Platz im Gesamtklassement zurück, gewann aber dafür eine neue wertvolle Erkenntnis: „Radsport ist nicht alles.“ Matti
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