: Ein politisches, kein mildes Urteil
■ Mehr als zwölf Jahre Haft für die beiden Gründer der Islamischen Heilsfront (FIS) hätte sich die algerische Junta nicht erlauben können, ohne neue Unruhen zu schüren
Ein politisches, kein mildes Urteil Mehr als zwölf Jahre Haft für die beiden Gründer der Islamischen Heilsfront (FIS) hätte sich die algerische Junta nicht erlauben können, ohne neue Unruhen zu schüren
Zwölf Jahre Gefängnis für Abassi Madani und Ali Benhadj — der Spruch von Blida ist kein mildes Urteil, wie wir jetzt hier und da lesen werden, sondern ein politisches. Zwölf Jahre sind viel für den 61jährigen Gründer der Islamischen Heilsfront, zwölf Jahre werden zum Justizskandal, wenn man bedenkt, daß die Anklage auch nicht den Zipfel eines Beweises vorlegen konnte.
Härter konnte die algerische Junta nicht urteilen, ohne Gefahr zu laufen, den schwelenden Bürgerkrieg anzufachen. Daß sich nachträglich auch noch ein falscher Schein von Rechtsstaatlichkeit auf das Verfahren legte, schmeichelt General Nezzar und der westlichen Öffentlichkeit, die wohlwollend goutiert, wenn ein arabischer Potentat mit seiner islamistischen Opposition blutigen Umgang pflegt.
Tunesiens Präsident Ben Ali läßt in diesen Tagen in zwei Massenprozessen Hunderte von Radikal- Islamisten zu höchsten Strafen verurteilen. Der marokkanische König Hassan II. — in dessen „geheimen Gärten“ unzählige politische Gefangene schmachten — zieht währenddessen mit der Einweihung der Großen Moschee von Casablanca alle islamische Symbolik an sich. Die algerische Raubbourgeoisie sucht noch einen eigenen Weg im Umgang mit den Islamisten.
Sie hat die FIS zweimal blutig unterdrückt. Sie hat die Wahlen abgebrochen. Sie hat Zehntausende in Wüstencamps interniert — diese Gefangenen sind nicht einmal in den Genuß eines Scheinprozesses gekommen. Und sie muß nun die Erfahrung machen, die seit Nassers Massaker an den Moslembrüdern eine feste Komponente arabischer Gegenwart ist: Mit Repression kommt man den Islamisten nicht bei.
„Wirft man diese Leute ins Gefängnis“, sagt der Orientalist Etienne, „tut man ihnen einen Gefallen— danach sind sie doppelt so zahlreich und dreimal so stark.“ Das liegt daran, daß die Radikal-Islamisten eher eine soziale Bewegung denn eine religiöse Partei sind. Sie stellen die Herrschaft der Prinzen in Frage, die ihre arabischen Völker in Abhängigkeit und Armut halten. Sie haben in dieser Rolle in fast allen arabischen Ländern, Algerien mitgerechnet, ein Monopol. Und sie haben Zeit, viel Zeit. Es ist jene Zeit, die den Regimes abgeht.
Das Urteil von Blida ist ein Zeichen dafür, daß man in der algerischen Nomenklatura über den richtigen Umgang mit den Islamisten nachzudenken beginnt. Sie hat die Moslembrüder mit saudischem Geld großgezogen, um sie gegen Marxisten und Landreförmler wie auch Bauern loszuschicken. Jetzt haben sich die Islamisten emanzipiert. Repression pur nutzt nichts. Also, denken Köpfe wie der frühere Außenminister Brahimi, müssen sie eingebunden werden.
General Nezzar ist das zuwider, aber ihn zwingt die Not. Jeden Tag geht es Algerien schlechter. Im Kern geht es um den Umbau der ganzen Gesellschaft. Die Militärbourgeoisie muß sachte dazu gebracht werden, Parzellen ihres Reichtums und ihrer Macht an eine neue Bourgeoisie abzutreten. Vor allem aber muß ein Ort gefunden werden, wo die gegenläufigen Interessen ausgewogen werden — die Einheitspartei FLN hat in dieser Rolle abgedankt.
Nezzar sucht in einem ersten Schritt, die Anti- FIS-Koalition zu bauen. Aber es ist bereits die Rede davon, Islamisten wie Scheich Nahnah („Hamas“) aufzunehmen. Und im Militärkerker von Blida sind, nolens volens, Nezzar und Madani in nahen Umgang gekommen. Hat diese Liaison nur zwölf Jahre Gefängnis hervorgebracht? Oliver Fahrni
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