Plakate nützen nichts

■ ÖTV moniert Pflegenotstand ohne Ende / Senat verhindert Pilotprojekt

ohne Ende / Senat verhindert Pilotprojekt

Personalräte von Hamburger Kliniken haben gestern die scharfe Kritik der Gewerkschaft ÖTV über eine verfehlte Sozial- und Gesundheitspolitik des Hamburger Senats bekräftigt. Wie berichtet, wirft die ÖTV dem Senat vor, das „Sozial- und Gesundheitszentrum“ Barmbek-Nord torpediert zu haben. Krankenkassen und Arbeiterwohlfahrt hatten bereits ihre Zusage zur Finanzierung des dreijährigen Modellversuchs der Ganzzeitpflege gegeben, das unter anderem Krankenhausaufenthalte überflüssig machen könnte. Der Senat sollte nur 650000 Mark beisteuern.

Doch Gesundheitssenator Ortwin Runde blitzte bei den Haushaltsberatungen ab. BAGS-Sprecher Hans-Joachim Breetz: „Wir haben uns für das Modell eingesetzt, haben es aber im Senat nicht durchsetzen können.“ Es sei nun mal ein Geben und Nehmen. So hatten Rundes Senatskollegen befürchtet, daß, angenommen das Projekt bewährt sich, auch in anderen Stadtteilen SG-Zentren gefordert würden — mit „Folgekosten“ für die Stadt. Auf dieses „Risiko“ wollte sich der Senat nicht einlassen.

Unverständnis herrscht unter Schwestern und Pflegern der staatlichen Krankenhäuser auch über die Kürzung der Wegegeldpauschale. Von der „750-Mark-Einmalzahlung“ dieser Tarifrunde sind den Pflegekräften deswegen 644 Mark abgezogen worden. Breetz zeigt sich über die volle ÖTV-Breitseite „überrascht“: „Wir haben zum Ausgleich für die Wegezeit 75 neue Stellen geschaffen.“

Laut ÖTV eine Floskel. Seit Jahren gelinge es nicht, offene Stellen in Kliniken zu besetzen. So sind von den offiziell 7051 Pflegestellen 309 unbesetzt, auf vielen Stellen sei unqualifiziertes Aushilfspersonal eingestellt worden — um überhaupt Pflegekräfte zu haben.

Aber nicht nur die Bezahlung schafft Unmut: Ein weiteres Hauptproblem sei der Schichtdienst und die unregelmäßige Dienstplanung. Laut ÖTV gibt es viel ausgebildetes Personal, das unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nach wie vor nicht arbeiten will. ÖTV-Vize-Chef Wolfgang Rose: „Wenn Frauen die Möglichkeit hätten, ihre Kinder in einer Kindertagesstätte unterzubirngen, würden sie arbeiten.“ Brigitte Gerloff, Personalrätin vom AK Barmbek: „Wenn eine Kollegin der Nachtschicht ausfällt, wird sie nicht durch eine Vertretung ersetzt, die tagsüber ausgeschlafen hat, sondern dann wird Ersatz aus der Tagschicht geordert.“

Sämtliche Modelle der Arbeitszeit-Umstrukturierung scheiterten bislang am Personalmangel. AK-Altona-Personalrätin Katharina Ries- Heidtke: „Als die Kollegen einer Station etwas Neues ausprobieren wollten, stellten sie schnell fest, daß sie eine Sechstagewoche hatten. Da wird so etwas schnell wieder fallengelassen.“

Auch Breetz sieht ein: „Wir müssen den Pflegeberuf attraktiver machen.“ Katharina Ries-Heidtke: „Dem Senat fällt aber nichts anderes ein, als peinliche Werbeplakate zu drucken.“ Brigitte Gerloff schlägt wegen der häufigen „Überbelastungsangaben“ in Hamburgs Kliniken Alarm: „Daß man unter den Bedingungen der heutigen Medizin nicht mehr so arbeiten kann wie 1969, sollte jedem mit gesundem Menschenverstand klar sein. In manchen Situationen hilft nur Betten schließen.“ Kai von Appen