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„Reinhaltung der japanischen Rasse“

In Japan kämpfen Frauengruppen und Angehörige einer diskriminierten Volksgruppe gegen das Koseki-System  ■ Aus Tokio Georg Blume

Es hat ja gar keinen Zweck, die Sache unerwähnt zu lassen, schließlich stand es schon in der taz. Ich bin im Juni Vater eines Sohnes geworden. Er heißt Louis Yamamoto.

Wie der Name vermuten läßt, ist Louis von Geburt Japaner und Deutscher zugleich. Die Heirat der Eltern sicherte ihm die doppelte Staatsangehörigkeit bis zum 18. Lebensjahr. Wären Chikako Yamamoto und ich unverheiratet geblieben, wäre Louis heute nur Japaner. Erst ein dreijähriger Aufenthalt in der Bundesrepublik während der Zeit seiner Minderjährigkeit hätte ihm dann einen Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit sichern können. Falls ich noch 18 Jahre als taz-Korrespondent tätig bin, wäre das schwierig geworden.

Für die Heirat vor der Geburt eines Kindes gibt es in Japan für die meisten Eltern noch einen spezifischen Grund: die Eintragung im Koseki, dem japanischen Familienregister. Ein Kind, dessen Herkunft hier als unehelich verzeichnet wird, riskiert nämlich immer noch ernsthafte Diskriminierung. Denn das Koseki hat einen halböffentlichen Charakter: Obwohl die Regierung inzwischen die Unternehmen auffordert, nicht mehr, wie früher üblich, eine Kopie des Familienregisters als Bewerbungsunterlage zu verlangen, spielt das Koseki in der Praxis auf dem Arbeitsmarkt immer noch eine große Rolle. Denn im Bewußtsein der Institutionen gilt das tadellose Koseki seit dem 17.Jahrhundert als Beweis für ordentliche Familienverhältnisse. Früher wurden hier auch Eltern und Großeltern, heute immerhin noch die Eltern vermerkt. Vor allem aber bestimmte das Koseki früher das Familienoberhaupt (Koshu), dessen gesellschaftliche Stellung — gestützt durch das Erbrecht — von allen Angehörigen größten Respekt verlangte.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte die amerikanische Besatzungsmacht das Koshu-Regime in den Familien ab. Heute ist nur noch von der „ersten Person des Familienregisters“ die Rede. Für Nippons Familienmachos ist diese Auszeichnung freilich immer noch ein Muß. Umgekehrt aber wehren sich emanzipierte Japanerinnen gegen die Heirat, weil sie nicht nach altem Brauch ins Koseki des Ehemannes eingetragen werden wollen. Obwohl gesetzlich nichts dagegen spricht, die Frau zur „ersten Person“ des Koseki zu machen, ist das selbst in alternativen Kreisen noch unüblich.

Für Louis Yamamoto hingegen ergab es sich praktisch von selbst, daß er seine Mutter zum Familienoberhaupt bekam. Nicht nur, daß sich das von selbst versteht. Aber der Vater, ein Ausländer, ist für das Koseki-System natürlich nicht von Belang. Das jahrhundertealte Registersystem ist schließlich die unfehlbare Beweisgrundlage für die Reinhaltung der japanischen Rasse. Da darf ich froh sein, nun immerhin mit Namen und Geburtstag in einer Randbemerkung des Kosekis meiner Frau erwähnt zu werden.

Nicht nur die Frauenbewegung ist gegen das Koseki-System Sturm gelaufen. In den siebziger Jahren waren es vor allem die Organisationen der Buraku-Kaste, einer aufgrund von mittelalterlichem Aberglauben immer noch als aussätzig behandelten Gesellschaftsgruppe, die auf die Abschaffung der staatlichen Stammbuchhaltung drangen. Denn nur durch das Koseki ist ein Buraku-Angehöriger heute als solcher identifizierbar. Die Buraku-Bewegung erreichte schließlich 1974 die schon erwähnte Regierungsempfehlung, nach der das Koseki nicht mehr grundsätzlich bei jeder Stellenbewerbung angefordert wird. Sollte sich Louis nun eines Tages doch für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden und damit automatisch sein Anrecht auf ein eigenes Koseki verlieren, dann gäbe es für ihn dennoch einen kleinen Trost: Eine einzige Familie in Japan verzichtet nämlich bereits auf das Familienregister — das ist die Kaiserfamilie.

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