: „Die Banalität des Bösen liegt nicht unter der Erde“
■ Interview mit Wolfgang Benz, 51, Leiter des Berliner „Zentrums für Antisemitismusforschung“, zur Diskussion über eine Öffnung des Hitler-Bunkers unter der ehemaligen Reichskanzlei/ „Der Bunker ist ein trivialer Ort“
taz: Teile des weitläufigen Hitler-Bunkers in Berlin sollen unter Denkmalschutz gestellt werden. Mit dem positiven Bescheid ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Gibt es — aus Sicht des Historikers — überhaupt einen Grund, den Bunker zu erhalten?
Wolfgang Benz: Ja, denn er ist immerhin eine materielle Quelle zur Geschichte des Dritten Reiches. Er ist ein Bodendenkmal und sollte nicht ohne Not zerstört und beseitigt werden.
Was halten Sie von jenen Stimmen — unabhängig ihrer politischen Couleur —, die für einen Abriß der Bunkeranlagen plädieren?
Ich habe dafür Verständnis. Das ist ein moralisches Argument, mit dem vielleicht versucht wird, Hitler endgültig aus dem Gedächtnis zu wischen. Als Historiker sehe ich es allerdings ungern, wenn Quellen welcher Art auch immer vernichtet werden. Zeugnisse zu beseitigen bedeutet ja auch immer eine Flucht ins Abstrakte.
Sollte der Bunker, wie es der wissenschaftliche Direktor am Archäologischen Landesamt in Berlin Alfred Kernd'l vorschlägt, zu einem späteren Zeitpunkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden?
Nein, dagegen habe ich große Bedenken, gerade wegen der Erfahrungen mit dem Obersalzberg (Hitlers Residenz in den bayerischen Alpen; d.Red.). Da hat sich mittlerweile eine gewaltige Devotionalienbörse angesammelt, feiert die Sensationslust am trivialen Ort ganz große Orgien. Genau dasselbe befürchte ich für den Fall, daß in Berlin — zumal an solch einem exponierten Platz — der Bunker der Reichskanzlei geöffnet und allgemein zugänglich gemacht würde. Eine Kultstätte würde entstehen, nicht nur für Neonazis und Rechtsradikale, sondern auch für alle möglichen deutsch-national angehauchten Touristen.
Kernd'l argumentiert, nur durch das Zeigen der Banalität, etwa der vorhandenen Wandgemälde, könnte der Ort entmythologisiert werden.
Um die Banalität des Bösen zu zeigen, muß man nicht unter die Erde steigen. Dafür gibt es genügend Anschauungsmaterial des Nationalsozialismus. Gewichtiger ist das Argument der Mythologisierung. Sie wird aber auch dann stattfinden, wenn der Ort uneingeschränkt betreten werden kann.
Wie sollte denn Ihrer Meinung nach mit den unter Denkmalschutz gestellten Überresten umgegangen werden?
Ich würde keinen besonderen Aufwand betreiben. Ein schlichter Hinweis auf die Schaltstellen des Dritten Reiches genügt vollkommen. Der Bunker ist ja an sich ein trivialer Ort, an dem keine Grausamkeiten begangen wurden und wo es der Respekt vor den Gemarterten, Gefolterten und Ermordeten gebieten würde, daß diese Stätte als Mahnmal erhalten wird. Im Falle des Führerbunkers reicht es, wenn darauf hingewiesen wird, daß unter diesem Hügel Adolf Hitler Selbstmord begangen hat und sich somit der Verantwortung entzog. Für überflüssig halte ich auch ein neues Dokumentationszentrum, etwa in Form einer Bibliothek in den Bunkerräumen. Ihn zu einem Lernort umzustilisieren — dafür gibt es wichtigere Stellen, gerade in dieser Stadt.
Ich würde diesen Ort allen ernsthaft Interessierten zugänglich machen, die sich natürlich anmelden müßten. Er könnte zum Beispiel der Stiftung „Topographie des Terrors“ (ständige Ausstellung auf dem ehemaligen Gelände der Gestapo; d.Red.) angegliedert und unterstellt werden. Wer dann wirklich ein seriöses Interesse hat, diese Wandmalereien zu besichtigen, kann dies ja dann unter fachkundiger Führung tun.
Wäre das aber nicht wieder eine Bevormundung der Bevölkerung?
Ob das jetzt eine Bevormundung oder eine aus Erfahrung gewonnene Vorsichtsmaßnahme ist, das steht dahin. Man kann natürlich auch sagen, es sei eine unerträgliche Bevormundung, wenn Fußballfans, die in ein Fußballstadion gehen, von Ordnungskräften ein wenig kanalisiert werden.
In unmittelbarer Nähe der Bunkeranlagen ist das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas geplant. Verbietet sich von daher nicht allein die Öffnung des Bunkers?
Ich glaube, beides paßt nicht zusammen, ein Mahnmal und ein eventuell geöffneter Bunker. Die Öffnung des Bunkers stünde ja auch für eine Rehabilitierung der Täter. Damit würde das Mahnmal für die Opfer desavouiert werden. Interview: Severin Weiland
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