: Managuas Polizei gegen Ex-Soldaten
In Nicaragua protestieren nun auch entlassene Militärs gegen soziale Verschlechterungen/ Polizei setzte Schußwaffen ein/ Elitetruppe gegen Demonstranten ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Der scharfe Geruch von Tränengas vermischt sich mit dem Gestank von verbranntem Gummi. Demonstranten im Zentrum der nicaraguanischen Hauptstadt Managua haben die Straßen mit brennenden Autoreifen abgesperrt. Vor dem Transportministerium, wo Minister Jaime Icabalceta mit einer Delegation der streikenden staatlichen Busgewerkschaft über die Vergabe von Krediten für Ersatzteile verhandelte, blockierten leere Busse alle Zufahrten. Die Avenida Bolivar vor dem Parlament und dem Regierunggebäude glich am Dienstag abend einem Heerlager im Bürgerkrieg. Mehrere hundert ehemalige Militärs, unrasiert und in ausgedienten Uniformen, hielten die Straße besetzt. Einige hatten sich ihre Orden aus dem Krieg an die Brust geheftet, andere trugen Tücher vor dem Gesicht. Die meisten von ihnen schwangen hölzerne Prügel oder Eisenstangen.
Soldaten fordern eine höhere Abfindung
Die Polizei hatte sich zunächst hinter die brusthohe Mauer des Parkplatzes vor dem Parlamentsgebäude zurückgezogen, keine zehn Meter von den Demonstranten entfernt. Es herrschte eine gespannte Ruhe vor dem Sturm. „Die Spezialtruppen der Armee planen einen Angriff“, glaubt einer der Ex-Militärs mit den Streifen eines Oberleutnants auf dem Schulterstreifen. Er sollte recht behalten. Kurz nach Mitternacht zogen Elitetruppen auf und vertrieben die Demonstranten, die in Richtung Transportministerium abzogen. Ex- Präsident Daniel Ortega und Kardinal Obando y Bravo schalteten sich als Vermittler ein. Die Auseinandersetzungen hatten Dienstag abend begonnen, als sandinistische Soldaten, die im Zuge der Truppenreduzierung entlassen worden waren, das Finanzministerium belagerten, um ihrer Forderung nach höheren Abfindungen Nachdruck zu verleihen. „Was wir nicht wußten, war, daß der Finanzminister persönlich noch drinnen war“, sagte einer der Wortführer. Prompt stellte sich ein 150 Mann starkes Kontingent der Spezialtruppen des Innenministeriums ein. Denn schon am Vormittag hatten die ehemaligen Militärs einen Vizeminister mehrere Stunden festgehalten. Als die Demonstranten einen Feuerwerkskörper abschossen und damit mehrere Polizisten an den Beinen verletzten, begannen die Truppen, in die Menge zu feuern. Mindestens drei Demonstranten und drei Polizisten wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Streikwelle begann Anfang Juli mit einer Serie von Protestmärschen der Studenten, die die Erhöhung des Budgets für höhere Bildung forderten. Seit mehr als einer Woche ist der akademische Betrieb lahmgelegt, weil die Regierung darauf beharrt, sie hätte ihre Verpflichtungen längst erfüllt. Wenn das Geld nicht ausreichte, dann müßten eben die Studenten zur Kasse gebeten werden. Ein Vorschlag, der mit den Empfehlungen des Weltwährungsfonds konform geht. „Sie wollen, daß die höhere Bildung wieder ein Privileg der Reichen wird“, sagt eine Studentenführerin. Während der Konflikt von Tag zu Tag eskalierte, mahnten die Rektoren, daß das akademische Jahr verlorengehen könnte, wenn die Regierung hart bleibt. Die Unentgeltlichkeit des akademischen Studiums ist eine Errungenschaft der sandinistischen Epoche, die auch den ärmeren Schichten den Zugang zu den Universitäten öffnete. Seit 1979 hat sich die Zahl der Studenten mehr als verdreifacht. Dementsprechend ist auch der Finanzbedarf der Unis gestiegen.
Keine Perspektive im zivilen Leben
Bis zum Wochenende hatten sich gewaltsame Auseinandersetzungen auf ein paar Handgemenge zwischen Polizisten und Studenten, die zu nahe an den Regierungssitz herangekommen waren, beschränkt. Seit Montag ist auch die Gewerkschaft der Busfahrer im Streik. Die Verschärfung des Konflikts begann, als sich die kampferfahrenen Ex-Offiziere den sozialen Protesten anschlossen. Sie verlangen, daß die Abfindungen gerechter verteilt werden. Denn während höhere Offiziere, von Hauptleuten aufwärts, mit relativ stattlichen Ruhegeldern ins Zivilleben umsteigen können, können die Leutnants und Unteroffiziere von den Übergangsgeldern nicht leben. Bei einer Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent haben sie keine realistischen Aussichten auf einen neuen Job.
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