: „Ich will sie nicht mehr sehen, nie mehr“
■ Bosnische Flüchtlinge in einem kroatischen Lager berichten von ihrem Schicksal
An die 100.000 Flüchtlinge sind allein in diesem Monat über die Brücke in Slavonski Brod der bosnischen Hölle entflohen, um in Kroatien Schutz zu finden. In der Gegend um die Grenzstadt gibt es verschiedene Flüchtlingslager. Eines befindet sich in der Gegend von Djakovo, über eine Fußstunde von der nächsten Siedlung entfernt — auf einem ehemaligen Gelände der jugoslawischen Armee, das nunmehr der kroatischen Armee gehört. 3.000 Menschen sind hier untergekommen. Sie erhalten Nahrung, kommen in den Genuß medizinischer Versorgung, haben das Nötigste und werden polizeilich bewacht. 3.000 Flüchtlinge, das sind 3.000 Geschichten. Hören wir uns einige an:
V.K., Studentin der Pädagogik aus Sarajevo: „Ich bin vor zwei Monaten hier angekommen. In Sarajevo habe ich es nicht mehr ausgehalten. Eine permanente, emotionale Anspannung. Wir, meine Familie, wohnten ja genau gegenüber der Kaserne, und so hagelte es Granaten. Schließlich sind wir 7.000 Leute zusammen in einem Flüchtlingstreck aufgebrochen. Schon in Ilidza, einem von Serben kontrollierten Vorort Sarajevos, wurden wir drei Tage lang angehalten. Doch dann schlugen wir uns nach Split durch. Dort steht nun mein Auto. Wir sind ja mit dem Schiff nach Rijeka weiter und schließlich hierher gebracht worden. Meine Zukunft? Ich möchte studieren, am liebsten im Ausland. Aber ich habe keine Dokumente, mein Paß, mein Abitur- Zeugnis, in der Hektik des Aufbruchs habe ich all das vergessen. Mein Freund ist in Sarajevo zurückgeblieben. Er will die Stadt mit verteidigen. Ich hatte auch viele serbische Freunde, einige wirklich gute, langjährige Freunde. Ich will sie nicht mehr sehen, nie mehr.“
M.P., 63 Jahre, Bäuerin aus Begovaca (bei Brcko): „Vor drei Monaten sind wir geflüchtet, seit einem Monat lebe ich hier mit meinem Mann. Unser Haus haben sie abgebrannt. Wir wissen es von jemandem, der bei den Serben gefangen war und dann im Austausch freikam. Er ist noch mal in unser Dorf gegangen und hat alles gesehen. Wer nicht geflohen ist, dem haben sie die Kehle durchgeschnitten, hat er gesagt. Wissen Sie, Milosevic und Karadzic, die sind schlimmer als Hitler. Ich habe zwei Söhne. Sie sind im Krieg. Sie kämpfen für Bosnien-Herzegowina. Ich habe sie seit drei Monaten nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht, ob sie noch leben, und wenn sie leben, wo sollen wir uns je wiederfinden? Nein, nach Begovaca zurück will ich nicht mehr.“
M.P., Hausfrau aus Odzac: „Meinem Bruder haben sie die Kehle durchgeschnitten, um Munition zu sparen. Mein Mann ist an der Front. Ich weiß nicht wo. Aber wir haben ausgemacht, wo und wann wir uns treffen. Aber das sag' ich Ihnen nicht. Die Kinder? Zu essen gibt es ja genug. Aber sie möchten Früchte. Stimmt es, daß uns Deutschland nicht aufnehmen will?“
A.Z., Mechaniker aus Odzac, verletzt: „Nur was ich am Körper trage, konnte ich mitnehmen. Das mußte alles verdammt schnell gehen. Die Tschetniks waren schon im Dorf. Die Landwirtschaftsmaschinen mußten wir alle zurücklassen. Nein, wir, Muslime, Kroaten, Serben, hatten keine Probleme untereinander. Na ja, die Serben, das waren die Verwaltungsbeamten, die gut bezahlt waren. Wieder zusammen leben? Nein, nie. Sie haben unsere Häuser abgebrannt. Es waren Serben aus Serbien und Montenegro, aber unsere einheimischen Serben haben zugeschaut, sie sind mitverantwortlich.“
Viktor, 13 Jahre, aus Derventa: „Mein älterer Bruder ist in den Krieg gezogen. Ich mußte mit meiner Mutter und den beiden Schwestern mit hierherkommen. Natürlich will ich wieder nach Derventa zurück, wenn der Krieg zu Ende ist. Doch wir müssen erst ein neues Haus bauen, das alte ist abgebrannt. Was ich später werden will? Pilot. Zivilpilot oder vielleicht doch Elektriker.“
S.C., Bäuerin aus Gracanica: „Drei Tage sind wir, ich und meine sechs Kinder, zu Fuß nach Gradacac geflohen. Aber dort konnten wir auch nicht bleiben. Also nach Modrica weiter, nach Bosanski Brod und über die Brücke nach Kroatien, dann hat man uns hierher gebracht. Mein Mann kämpft gegen die Tschetniks. Unsere Männer kämpfen alle. Ich bin sicher, er wird überleben — schon wegen der Kinder.“
Mujanvic Safet aus Brcko: „Bitte setzen Sie eine Annonce in Ihre Zeitung: Richten Sie meiner Frau in Aachen, Monika Safet, aus, daß ich hier bei Djakovo bin. Nein, Telefon hat sie nicht. Aber sie ist gemeldet.“ Aufgezeichnet von Thomas Schmid
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