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Umschulung im Palazzo di KoKo, Pankow

■ Im ehemaligen Schalck-Imperium werden heute Arbeitslose umgeschult, hauptsächlich für kaufmännische Berufe/ Die meisten Teilnehmer sind Frauen zwischen 20 und 50/ »Das ist alles so neu für uns« — es herrscht große Unsicherheit

Pankow. Im ehemaligen Komplex der KoKo in Pankow, (die KoKo war das Imperium Schalck-Golodkowskis) wird jetzt Umschulung angeboten — hauptsächlich für kaufmännische Berufe. Das Areal in der Schönholzer Straße besteht aus einem alten klassizistischen Trakt mit gelber Patina und zwei Baracken nebst Kantine. An seine Vergangenheit erinnern nur die Außenflächen. Innen hat die Stunde Null überall geschlagen. Es ist (fast) alles neu. »Aber die Tassen hier, die mit dem grünen Rand, die sind noch original Mitropa. Früher, bei uns in der DDR, gab es die flächendeckend.«

Unterrichtet wird in den Baracken: Computer-Galerien auf den Tischen, Monitore an der Wand, eine Audio- und eine Video-Ausstattung — und Flip-Charts in jedem Raum. Nur der Fußboden ist noch aus Plaste und Elaste. Die meisten Teilnehmer sind Frauen, das Alter reicht von Anfang 20 bis über 50. Sie waren zwei, drei oder mehr Monate arbeitslos und lassen sich jetzt zum Kaufmann, zur Arzthelferin, zur Fremdsprachensekretärin oder in den verschiedenen Software-Programmen am Computer ausbilden. Die Verunsicherung der Menschen ist groß. »Na ja, die Arbeitslosigkeit. Anfangs, da hat man sich noch gepflegt. Aber irgendwann war es auch egal. Nur gut, daß wir jetzt hier sind!«

Der Niederlassungsleiter des Palazzo di KoKo, ein ehemaliger Hochleistungssportler und DDR-Meister, graumeliert, charmant und väterlich, sagt allen, sie müßten ihre Chancen nutzen, sie hätten jetzt Gelegenheit dazu. Die Vermittlung westlichen Wissens, westlicher Standards. Anschluß finden an westliche Bildung. Er kämpft gegen die Ängste an. Das meiste ist für ihn schon gewonnen, wenn sich die TeilnehmerInnen ihre Sorgen und Befürchtungen eingestehen.

Der Geschäftsführer sitzt im Europacenter. Er ist Bayer und Unternehmensberater. Ich frage ihn, welch glückliche Hand ihm denn das KoKo-Gelände zuspielte. »Tja, das möchten Sie wohl gerne wissen, was?!« — lacht, schweigt und genießt. Auf seinem Schreibtisch liegt eine Einladung beim Bundeskanzler.

Am Anfang eines Kursus steht für eine Woche das Fach »Kommunikation«. Es umfaßt alle rhetorischen Mittel — von der Sprache über körperliche Aussagen bis zur Briefgestaltung und zu Informationswegen am Arbeitsplatz.

Die Menschen in der Umschulung haben alle ähnliche Lebensläufe: Manchmal 15, 20 Jahre an einem Arbeitsplatz, teilweise seit der Lehrzeit dieselben Kollegen. Da war Vertrautheit, Sicherheit — und gemütlich war es auch. »Früher, in unserer Abteilung, mit den Kolleginnen, wir haben uns immer so toll verstanden, wir waren dann auch alle gleichzeitig schwanger.« — »Überhaupt, früher, die Solidarität. Unseren letzten Pfennig haben wir für irgendwelche Aktionen gegeben. Man wußte nie genau, wo es wirklich landete, aber das mit der Solidarität, das zog immer.« — »Heute ist das alles weg. Jeder macht, was er will, denkt nur an sich. Wenn der Druck von oben fehlt, ist sie hin, die Solidarität.«

Und jetzt steht eine Dozentin für Kommunikation aus dem Westen vor ihnen, verteilt Texte, zeigt Bilder — und stellt laufend Fragen. »Wie finden Sie das? Was fällt Ihnen dazu ein? Sehen Sie das auch so?« Das ist ungewohnt, aber alle machen brav mit. Erst am Ende des Kurses und auf Anfrage heißt es: »Das ist alles so neu für uns. Früher, da hat sich der Lehrer vor die Klasse gestellt und was erzählt. Das konnte aber auch seinen Reiz haben.« Vorsicht beim Denken. Man kann nie wissen — hat ja seine Erfahrungen. Wenigstens Witze reißen. Tut so gut. Lacht die ganze Runde. »Ist ja nicht verboten, oder?« — »Wie, Sie kennen Kojak nicht? Müßten Sie mal arbeitslos sein, würden Sie Bescheid wissen, was nachmittags im Fernseher läuft.«

Ein Teil des Unterrichts ist auf den allgemeinen Umgang mit Sprache und auf Artikulation angelegt. Am besten, die TeilnehmerInnen erzählen erst einmal von ihren Berufserfahrungen. »Wir hatten mal 'ne Kollegin, die biederte sich immer so blöd bei der Chefin an. Wir kochten den Kaffee, und sie brachte den rein. ‘Hab' ich extra für Sie gemacht, Frau Meyer‚ und so. Da haben wir ihr 'nen vergoldeten Hühnerfuß geschenkt. Ja doch, 'nen richtigen vom Huhn. Mensch, die hat nie mehr ein Wort mit uns gesprochen.«

In der Pause kommen Wurststullen, Thermoskannen, Yoghurts und Gurken auf den Tisch. Eine Stimmung zum Pantoffel-an-die-Füße. Sie aber klagen, daß es mit der Gemütlichkeit endgültig vorbei sei — mit Pergamentpapier, Alufolie und Plastikbechern knisternd. »Und das Fernsehprogramm ist heute auch nicht mehr das, was es einmal war. Ist man ja schon gezwungen, sich was aus 'ner Videothek zu holen. Hat schon seinen Grund, warum es die Dinger gibt.«

Wehret der Frustration. Auf irgend etwas muß der Mensch doch stolz sein! Also, worauf? »War gerade die Mauer auf. Hab' mich so richtig feingemacht, Haare auch und so, bin rüber nach Kreuzberg und hab' mich in einer Arztpraxis vorgestellt. Die haben mich natürlich nicht genommen. Bin noch nicht mal bis zum Arzt vorgekommen. Wenn ich mir heute überlege, wie ich damals aussah, wie ich auf die gewirkt haben muß. Aber war gut, daß ich mich das getraut habe.«

Es gibt die vom Leben Gebeutelten, oft im Verbund mit den Schlitzohrigen. Kleinigkeit für mich, kann ich alles, bah, mach' ich doch mit links — aber nicht hier, hab' ich gar nicht nötig! Aber das erzählt nur die Mimik. Der Mund bleibt stumm. Die Kombination von dumm, dreist und depressiv ist die fatalste. Aber da sind auch viele ganz Patente und Pfiffige, es gibt die Interessanten und die Interessierten, die Differenzierten und die fast schon Übermotivierten.

Sich artikulieren fällt verhältnismäßig leicht. Die Sätze fließen, werden nicht abgebrochen. Diese Disziplin hat man in der DDR gut gelernt. Sich zeigen ist dagegen enorm schwer. Es braucht Zeit und Vertrauen, bis der ganze Mensch zum Vorschein kommt — aber auch konkrete Arbeit an den Verhaltensweisen. »Bei den Versicherungen, die Vertreter, die werden gut ausgebildet! Bei uns ein Nachbarjunge, richtig verklemmt war der, konnt' nicht mal vernünftig reden. Den haben sie für ein paar Monate auf Schulung in den Westen geschickt. Solltest den mal sehen! Der stellt jetzt was dar, aus dem ist 'n richtiger Mann geworden!« — »Von wegen Vertreter! Kam ein Staubsaugervertreter und wollte vorführen. Ich hab' ihn gleich überall vorführen lassen. Teppiche, Polster. Als alles sauber war, hab' ich zu ihm gesagt, das Ding wär' mir zu teuer. Der hat gekocht! Mußte einer von hier gewesen sein — hat noch nichts dazugelernt!« Alles lacht. Nee, so dumm sind sie doch wieder nicht! Langsam zeigt sich Selbstbewußtsein.

Und dann wird das, was zum Kursanfang als Strafe empfunden wurde, zum großen Auftritt: das Agieren vor der Videokamera. Am ersten Tag flüchtet jeder, am dritten klemmt sich alles an der Wand lang, immer an der Wand lang. Bis es langsam dämmert, daß man eigentlich ganz passabel sein kann. Wenn nicht gar gut, doch, wirklich gut! Dann wird aufgedreht. »Hab' gleich der ganzen Familie gezeigt, wie man richtig durch 'ne Tür geht. Konnten se alle nicht. Von wegen Hinteransicht und so.« — »‘Männe‚, hab' ich gestern abend zu meinem Mann gesagt, ‘Männe, seit 17 Jahren hast du recht! Seit 17 Jahren sagst du mir, ich soll nicht so'n Buckel machen. 17 Jahre hab' ich mich gefragt, was der Alte von mir will. Hab es jetzt gesehen. Sieht furchtbar aus.‚ Das war schon erst mal 'n Schock.«

Gradlinig sind die Leute. Sie gehen aufeinander zu, schaffen sich ihren Schutzraum, kreieren ein Verbundsystem. Und dann sprechen sie von ihren Vorstellungen und Träumen. »Zum Bumerang-Werfen nach Australien.« — »Einmal ewigen Schnee in meinen Händen halten.« — »Noch mal geboren werden und all die verlorenen Jahre nachholen.« — »Wenn ich hier raus komm', will ich zwofünf. Kann ich mir dann doch leisten, wa?!« Barbara E. Dutz

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