INTERVIEW
: »Thema: Das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern«

■ Margret Hauch, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und Mitarbeiterin in der Hamburger Abteilung für Sexualforschung, zum Wissenschaftlerstreit um das noch nicht gegründete Institut für Geschlechter- und Sexualforschung an der Humboldt-Universität

Nach der Idee der »Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft« soll an der Humboldt-Universität ein Institut für Geschlechter- und Sexualforschung gegründet werden — die taz berichtete mehrfach. Gedacht ist es als Weiterführung des Vermächtnisses von Hirschfeld, der von 1919 bis zur Zerstörung durch die Nazis das weltweit erste sexualwissenschaftliche Institut in Berlin-Tiergarten betrieb. Die Initiative fand im vergangenen Jahr die Unterstützung von renommierten bundesdeutschen WissenschaftlerInnen, darunter auch die Hamburgerin Margret Hauch. Dann aber blieb sie im Streit stecken, denn eine Gruppe von Humboldt-Professoren wandte sich vehement gegen eine Ansiedlung des Instituts bei den Sozialwissenschaften. Die Hoffnungen richten sich nun auf die neue Universitätspräsidentin Marlis Dürkop. Die taz führte eine Reihe von Interviews mit Befürwortern und Kontrahenten des Instituts.

taz: Sie haben das Memorandum zur Gründung eines Instituts für Geschlechter- und Sexualforschung an der Humboldt-Universität mitunterzeichnet. Warum finden Sie es so essentiell wichtig, daß es bei den Gesellschaftswissenschaften angesiedelt wird?

Margret Hauch: Ich denke, daß die Diskussion bei den Gesellschaftswissenschaften einen ganz anderen Stand hat als bei den Naturwissenschaften. Viele Fragestellungen der Geschlechterforschung sind einfach gesellschaftliche. Außerdem geht es darum, eine andere Wissenschaft zu betreiben, die unterschiedlichen Blickwinkeln und Interessen Rechnung trägt. Die Erfahrungen in den bestehenden Instituten, die bei der Medizin angesiedelt sind, etwa in Hamburg oder Frankfurt, lassen einfach die Grenzen der bisherigen Forschungsansätze deutlich werden.

Welche Grenzen sind das?

Der Blick aufs Pathologische ist quasi vorgegeben, und das Macht- und Gewaltverhältnis zwischen den Geschlechtern wird so gut wie nicht betrachtet. Das ist auch von der wissenschaftlichen Methodik her problematisch: Wenn Männer Frauen beforschen, definieren sie dadurch auch die sogenannte weibliche Sexualität und verfestigen damit die bestehenden Machtverhältnisse. Das wird dann als wissenschaftliche Objektivität verkauft.

Eine Ansiedlung bei den Gesellschaftswissenschaften würde den Ansatz des Instituts einmalig machen?

Einmalig wird der Ansatz durch die geforderte qualitative Quotierung. Und die wiederum ist eher bei den Gesellschaftswissenschaften durchzusetzen — oder aber im Rahmen einer senatsunmittelbaren Einrichtung, was aber an der Humboldt-Universität schwierig zu sein scheint. Was ja bisher vor allem fehlt, ist die Thematisierung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und auch zwischen den Mehr- und Minderheiten im Hinblick auf sexuelle Orientierung, und zwar gerade auch im Hinblick darauf, wie das in den Forschungsmethoden selbst zum Tragen kommt. Eine erfreuliche Ausnahme bildet da bisher nur die Frauenforschung, deren Ansätze und Ergebnisse leider in den Wissenschaften so gut wie gar nicht beachtet werden.

Sollen also auch die Ergebnisse der Frauenforschung in dieses Institut einfließen?

Ja, sie müssen gefälligst endlich zur Kenntnis genommen werden. Die Forschung in diesem Institut sollte sie allerdings ergänzen und nicht ersetzen. Eine Geschlechterforschung kann sich nur etablieren, wenn sie auf den Ansätzen und Ergebnissen der Frauenforschung aufbaut. Inzwischen gehen die Frauen ja auch andere Fragen an, wie zum Beispiel die feministische Kritik am Objektivitätsbegriff der Wissenschaften.

Nun wird von Kritikerseite behauptet, der konstruktivistische Ansatz — die These, die Geschlechterverhältnisse seien gesellschaftlich konstruiert — sei antiquiert. Sehen Sie das auch so?

Nein, das scheint mir eher eine akademische Wissenschaftspolemik zu sein. Ich habe mich in letzter Zeit intensiver mit neuen amerikanischen Ansätzen beschäftigt. Die Sexualforscherin Leonore Tiefer beispielsweise arbeitet eher dekonstruktiv an den bestehenden Ansätzen. Sie zeigt nämlich auf, welche theoretischen und ideologischen Festschreibungen des gegebenen Geschlechterverhältnisses beispielsweise in der Studie von Masters und Johnson drinstecken, wie sich die Machtverhältnisse also auch in der Befragung und den Laboruntersuchungen unhinterfragt niederschlagen.

Der Mainstream in der Sexualforschung, der amerikanischen vor allem, scheint aber auf biologisch und biologistische Modelle hinauszulaufen.

Ja, das Thema boomt gerade wieder. Wissenschaft hat ja schon immer der Herrschaftssicherung gedient, und die bestehenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und den Rassen sind weltweit in Bewegung geraten. Und da wird die Wissenschaft in den Dienst genommen, um vertraute Formen der Herrschaftsausübung abzusichern. Die bisherige Wissenschaft hat sich dafür gut geeignet.

Der „Stern“ veröffentlichte vor einiger Zeit die Titelgeschichte: »Neue Forschungen beweisen den großen Unterschied: typisch Frau, typisch Mann.« Dort werden die angeblichen Ergebnisse der Hormonforschung in den USA referiert: Frauen und Männer hätten verschiedene Gehirne, Frauen wären sprachlich begabter, Männer könnten besser räumlich denken et cetera.

Das ist einer der Bereiche, die ich sehr wichtig finde zu erforschen. Die wechselseitige Interaktion zwischen biologischen und gesellschaftlichen Bedingungen, und deswegen finde ich auch sehr wichtig, NaturwissenschaftlerInnen in die Geschlechterforschung mit einzubeziehen. Selbstverständlich hat Sexualität auch mit Körper und mit Biologie zu tun. Aber was das für die einzelnen bedeutet, das ist völlig abhängig vom kulturellen Kontext. Und gerade die Biologie wird in letzter Zeit auch von Frauen besonders untersucht und kritisiert, zum Beispiel von Evelyn Fox-Keller und Lina Birke. Es ist eigentlich ja schon ein alter Hut, daß sich schon durch das Anschauen des Betrachters oder der Betrachterin der Gegenstand verändert.

Und der Blick ist gesellschaftlich.

Auch geschlechtsspezifisch. Das wird in den bisherigen Naturwissenschaften so gut wie nicht thematisiert.

Glauben Sie, daß die Fraueninteressen bei einem solchen Institut gut aufgehoben sind?

Es existierte eine erfreuliche Bereitschaft, ihnen Raum zu geben. Es war aber auch immer wieder schwierig, und da bildet sich die Realität in der Wissenschaft ab, die Vorbereitungsgruppe tatsächlich geschlechterparitätisch zu gestalten. Auch der Kontakt zu Frauen aus dem Osten, die in diesem Bereich arbeiten, hat in meinem Arbeitsfeld nur in Ausnahmen funktioniert. Die DDR-Institute, die überhaupt Westkontakte hatten, wurden und werden von Männern geführt, dieses Kontaktnetz bestand also schon. Aber die Frauen sind in der Regel weder in leitenden Positionen noch in abgesicherten Verhältnissen. Da gibt es dann wieder deutliche Parallelen zwischen Ost und West. Interview: Ute Scheub

Am nächsten Freitag erscheint ein Interview mit Hartmut Bosinski.