Verstörender Potter

■ Der Vierteiler „Blackeyes“ ab Sonntag in N3

Als 1986 ein von der britischen Boulevardpresse genüßlich zelebrierter Sturm der Entrüstung losbrach, weil in einer Folge des Sechsteilers „The Singing Detective“ auf BBC1 zur besten Sendezeit am Sonntag abend minutenlang ein nackter Männerhintern zu sehen gewesen war, entlockte das dem betroffenen Autor vermutlich nur noch ein müdes Lächeln. Seit er 1962 als Sketchautor der satirischen Wochenschau „That Was The Week That Was“ begann, hatte Dennis Potter des öfteren im Kreuzfeuer der Konservativen gestanden, war von reaktionären Kommentatoren beschimpft und von der berüchtigten Tugendwächterin Mary Whitehouse brieflich bei Premierministerin Thatcher angeschwärzt worden. Einen Skandal verursachte Potter 1978 mit seinem TV-Spiel „Brimstone and Treacle“, das wegen einer drastischen Vergewaltigungsszene auf Anweisung des BBC-Direktors Alasdair Milne — der sinnigerweise einst selbst zum Team von „That Was The Week That Was“ gehört hatte — mitten in der Sendung abgebrochen wurde. Unter der Vielzahl innovativer Arbeiten Potters ragte eine besonders hervor: „The Singing Detective“. Der Autor verarbeitete in dem Kriminalspiel die Geschichte seiner eigenen Psoriasis, einer Schuppenflechte. Auch „Blackeyes — eine rätselhafte Frau“ ist ein verstörendes und verschachteltes TV- Spiel über den ganz alltäglichen Horror. Es basiert wieder auf realen Begebenheiten, von denen Potter über seine Nichte Kenntnis erhielt.

Alter ego des Autors ist der „dirty old man“ Kingsley (Michael Gough), ein Romanschriftsteller. Nach dem Bild seiner Nichte Jessica schuf er die Phantasiefigur Blackeyes, buchstäblich eine Traumfrau, die in ihrem Beruf als Fotomodell und Mannequin dem Sexismus der Branche ausgesetzt ist und unter der ihr abverlangten Verfügbarkeit leidet. Der unattraktive alte Mann verbannt seine sexuellen Wünsche in ausschweifende Tagträumereien, in denen Blackeyes eine tragende Rolle spielt. Realität und Fiktion vermischen sich, auch für die Zuschauer. Jessica verwandelt sich in Blackeyes und umgekehrt. Auf der wirklichen Jessica lastet die Erinnerung an den sexuellen Mißbrauch durch ihren Onkel in früher Kindheit. Blackeyes erträgt die mittelbare Vergewaltigung durch Fotografen, Agenten und deren Kunden nicht länger, sie wählt den Freitod. Ein Kriminalbeamter sieht die Tote im Leichenkeller der Londoner Polizei; fasziniert von der Schönheit ihres Gesichts macht er sich daran, das Geheimnis ihres Todes zu lüften...

Mit „Blackeyes“ gab Dennis Potter, den Fay Weldon einmal als „besten Fernsehautor der Welt“ bezeichnete, 1989 sein Debüt als Regisseur. Die Hauptrollen spielen Michael Gough, Gina Bellman und Carol Royle. N3 zeigt den ersten Teil am Sonntag um 23Uhr, die anderen Teile folgen am 2., 9. und 16. August. Harald Keller