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»Gesellschaftlicher Umgang mit Sexualität«

■ Ralf Dose und Dr. Rainer Herrn von der »Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft« engagieren sich für die Gründung des Instituts für Sexual- und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität

Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft macht sich seit Jahren für eine Neugründung des 1933 von den Nazis zerstörten Instituts für Sexualforschung stark, das der jüdische Arzt und Sexualreformer Magnus Hirschfeld in Tiergarten aufgebaut hatte. Ein erster Versuch der Neugründung an der Freien Universität scheiterte in den achtziger Jahren am Veto des damaligen FU-Präsidenten Dieter Heckelmann. Ein zweiter Anlauf an der Humboldt-Universität blieb in Machtkämpfen stecken, nachdem eine Gruppe von Dozenten, womöglich aus Angst um ihre Forschungsstellen am Humanontogenetischen Institut und anderswo, eine Ansiedlung des Instituts bei den Gesellschaftswissenschaften vehement attackierte (die taz berichtete). Nun bleibt nur noch die Hoffnung auf eine Unterstützung durch die neue Präsidentin der Humboldt-Universität, Marlis Dürkop. Die taz befragte Ralf Dose, Westberliner Gründungsvater der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, und Rainer Herrn, Ostberliner Mitarbeiter ihrer Forschungsstelle.

taz: Warum finden Sie es notwendig, daß sich das Institut für Geschlechterforschung bei den Gesellschaftswissenschaften ansiedelt?

Ralf Dose: Erstens gehe ich davon aus, daß Sexualität durch und durch kulturell geprägt ist und nichts mit Krankheit zu tun hat, was ihre Abhandlung durch die Medizin immer suggeriert. Nach 120 Jahren medizinischer Forschung zur Sexualität scheint mir wichtig zu sein, endlich mal von der anderen, von der gesellschaftlichen Seite heranzugehen.

Rainer Herrn: Natürlich könnte im Institut auch der eine oder andere Sexualmediziner oder Biologe sitzen. Aber es geht um die Priorität der Forschungsrichtung.

Ralf Dose: Es geht um den gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität und den sexuellen Mehr- und Minderheiten. Wobei durchaus auch mal die Mehrheiten und ihre alltäglichen Gewaltverhältnisse in den Blick zu nehmen sind. Das, was sich täglich zwischen Männern und Frauen abspielt, wird doch kaum irgendwo hinterfragt. Der jetzige Innensenator und damalige FU-Präsident Dieter Heckelmann hat ein Gespräch, in dem es schon vor Mauerfall um die mögliche Neugründung des Magnus-Hirschfeld-Instituts an der FU ging, so beendet: »Soll über Sexualität forschen, wer damit Probleme hat, wir haben damit keine Probleme.«

Rainer Herrn: Die bisherigen Einrichtungen in Deutschland, die sich mit Sexualforschung befassen, sind fast alle an sexualmedizinische Einrichtungen angebunden. So in Hamburg, Frankfurt, eine Ausnahme ist Rüdiger Lautmann in Bremen. Wir wollen das gleiche nicht noch mal nachmachen, sondern andere Fragestellungen in den Mittelpunkt stellen, auch als Ergänzung zu den anderen Einrichtungen. Konstruktion der Geschlechter — dieser Begriff soll aufzeigen, daß sie eben nicht biologisch-medizinisch, sondern gesellschaftlich konstruiert sind.

Ralf Dose: Und dann geht es um die Frage des Konstruktionsprozesses.

Rainer Herrn: Dazu gehören auch Fragestellungen aus der Wissenschaftsgeschichte. Im 18. und 19. Jahrhundert zum Beispiel gab es die allgemeine Anthropologie, und aus der Verwissenschaftlichung der Geschlechtercharaktere entstand die »Sonderanthropologie der Frau«, wie es Claudia Honegger sagt, die sich dann zur Sittengeschichte und zur Gynäkologie entwickelte.

Trotz ihrer progressiven Ansätze hat auch die Sexualforschung einen vorwiegend männlichen Blick.

Ralf Dose: Das stimmt nicht ganz. Es gab in den 20er Jahren eine Menge Untersuchungen über Frauen, in den 40er Jahren blieb dabei aber nur noch die Frage der Fruchtbarkeit übrig, die dann 1949 in der Bundesrepublik wieder auftaucht. Das ist natürlich eine starke Reduzierung auf das Weib als Unterleib, Machtverhältnisse tauchen dabei nicht auf.

In der biologisch-medizinischen Forschung passiert etwas ähnliches: Homosexuelle werden auf ihre Hormone reduziert. Der umstrittene Hormon- und Rattenforscher Günter Dörner vom Institut für Humanogenetik und Wissenschaftstheorie der Humboldt-Universität behauptet mit umstandsloser Übertragung von Tierversuchen auf Menschen: Homosexualität werde schon im Mutterleib durch die »falschen« Hormone ausgelöst. Inzwischen, in dem Band »Zum Geschlechterverhältnis in einer sich wandelnden Welt«, sagt er, es täte ihm leid, wenn er Gefühle von Homosexuellen verletzt habe, aber wenn Homosexualität etwas Natürliches sei, könne sie auch als solche entkriminalisiert werden.

Ralf Dose: Das funktioniert natürlich nicht angesichts der gesellschaftlichen Abwehr gegen Randgruppen. Aber diese Art von Begründung zieht sich durch von 1916 bis heute.

Rainer Herrn: Man kann wissenschaftshistorisch aufzeigen, wie sehr das ein Produkt des biologisch-deterministischen Denkens ist. Außerdem ist nachweisbar, daß bisher jede biologische Theorie benutzt wurde, um Homosexuelle zu »therapieren«, ob sie nun um die Hormone oder die Gene kreisen oder die Evolution. Zum Beispiel gibt es die Behauptung, die Homosexuellen seien »reproduktive Altruisten«, weil sie ihren Geschwistern helfen würden, die zahlreiche Brut aufzuziehen.

Müßte nicht eine Form gefunden werden, um die eigenen männlichen und weiblichen Interessen in einem solchen Institut zu reflektieren, die in die Forschungsziele und -ergebnisse ja immer eingehen? Also eine Art Metadialog.

Ralf Dose: Das wäre für uns eine ganz wesentliche Voraussetzung: daß die Mitarbeitenden an einem solchen Institut selbst ihre Geschlechterverhältnisse reflektieren und ihre Interessen offenlegen. Solch eine Metaebene ist allerdings institutionell sehr schwer festzulegen, denn bekanntlich kann ein deutscher Professor forschen, wonach er will. Da wäre die kritische Öffentlichkeit oder wenigstens die halböffentliche Fachöffentlichkeit gefordert. Das Gespräch führte Ute Scheub

Am nächsten Freitag erscheint ein Interview mit Hartmut Bosinski.

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