Gastmahl für Gründerväter

■ Motiv-Ausstellung zu Anselm Feuerbachs »Gastmahl« in der Alten Nationalgalerie

Seid gegrüßt, ihr Männer! Wollt ihr einen schwer berauschten Mann als Mitzecher aufnehmen oder sollen wir wieder abziehen, nach Bekränzung nur des Agathon, was der Zweck unseres Kommens war?« So sprach Alkibiades, und die Schar der Philosophen, die im Haus des Agathon zum »Gastmahl« versammelt waren, »brachen alle in hellen Jubel aus und hießen ihn eintreten und sich niederlassen und Agathon lud ihn dazu ein.«

Anselm Feuerbach (1829-1880) hat diese Szene auf einer Fläche von 7,5 mal 4 m in epischer Breite verewigt und damit der Alten Nationalgalerie zu einem ihrer imposantesten und monumentalsten Stücke verholfen. Eine Kabinettausstellung dort würdigt nun mit über 130 Exponaten — Antiken, Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Drucken, Karten und Skizzenbüchern — das im Treppenaufgang hängende Werk.

Wer etwas von der Ausstellung haben will, sollte vorher Platons »Symposion« lesen, ein kurzer Text, der an zwei Abenden vor dem Einschlafen bequem zu schaffen ist und vor dessen Horizont sich vieles von der Motivfülle des Gemäldes erschließt. Der Text handelt von einer kleinen Feier, zu der der Tragödiendichter Agathon ein paar Freunde eingeladen hat, da er einen Wettbewerb gewonnen hat. Zu ihrer Unterhaltung und gegenseitigen Belehrung diskutieren sie über das Wesen des Eros. In lockerer Folge werden sechs Reden auf den Liebesgott gehalten, wobei Sokrates zuletzt zu Wort kommt und erklärt, daß der Sinnlichkeit nur eine untergeordnete Rolle zukäme und die wahre erotische Betätigung im Philosophieren läge.

Feuerbachs Bild stellt nun diejenige Szene dar, die epilogartig der Rede des Sokrates folgt und diese konterkariert. Der betrunkene Alkibiades stürmt ins Haus und bringt dionysischen Geist in die nüchterne Philosophengesellschaft. Dazu aufgefordert, ebenfalls eine Rede auf den Eros zu halten, berichtet er von einem Liebeserlebnis mit Sokrates.

Der Gang durch die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie entwickelt sich zunächst ein wenig labyrinthisch, Abbildungen von Medusen und Mänaden, Nymphen, trunkenen Silenen, Eroten und Bacchanten, aber auch biblische Geschichten, Blumenstilleben, Kranzwinderinnen, Grabreliefs, Marschpläne und Aktienpapiere werden zu der Motivik, die das Feuerbach-Bild in üppiger Überfülle zu bieten hat, in Beziehung gesetzt. Da das meiste aus Beständen Berliner Museen kommt, entsteht bisweilen der Eindruck, hier ist auf das Nächstliegende, was immer auch nur irgendeinen Bezug zum Gemälde Feuerbachs hat, zurückgegriffen worden. Allerdings nach vielem Hin- und Hergehen und Vergleichen sind etliche Verbindungspunkte zwischen den einzelnen Exponaten und dem Bild zu entdecken. Etwas problematisch erscheint, daß von thematischen Vorgängern des Feuerbachschen Gemäldes in der Ausstellung nur Stiche oder bestenfalls Ölskizzen vorhanden sind, also keine Originale, sondern nur Entwürfe und Kopien. Ein direkter Vergleich der malerischen Qualitäten kann so leider nicht stattfinden. Der Kabinettcharakter der Ausstellung läßt allerdings auch keine größeren Formate zu.

So kann auch der wichtigste Vorläufer für das Berliner Bild seiner Größe wegen in der Ausstellung nur durch ein Foto repräsentiert werden: Die erste Fassung des »Gastmahls«, 1869 fertiggestellt und heute in Karlsruhe. Da sie zunächst in eine Privatsammlung gelangte und damit der Öffentlichkeit entzogen worden war, malte Feuerbach eine zweite Version des Themas.

Das Berliner Bild wird in der Regel für nicht so gelungen gehalten wie die Karlsruher Fassung. Es gibt ein paar signifikante Unterschiede. Das Karlsruher Bild ist von klassizistischer Klarheit und wesentlich verhaltener in Farbton und Bildgestaltung. Es dominieren dort Grautöne: graublau, graugrün, graurot. Die Figuren sind statuarischer aufgefaßt. Ein Zusatz des Berliner Bildes ist der illusionistisch gemalte goldene Rahmen, der schon allein ein Drittel der Bildfläche ausfüllt. Zudem ist das Berliner Bild vollgepackt mit Zierat und Ornamenten. Amoretten wurden hinzugefügt, Vasen, Leuchter, Wandgemälde, selbst Säulenschäfte kompliziert verziert, so als gälte es einem Horror vacui zu entkommen. Gegenüber dem klassizistischen Geist des Karlsruher Gemäldes kann das 1873 nach der Reichsgründung fertiggestellte Berliner Bild in seiner Opulenz als ein typisches Werk der Gründerzeit gelten.

Am interessantesten und schönsten wirken in der Ausstellung die vielen Skizzen und Zeichnungen zu den beiden Versionen des »Gastmahls«. An ihnen kann man die Entstehung und die Veränderungen der beiden Fassungen nachvollziehen. Feuerbach war ein exzellenter Zeichner und Porträtist. Mit großen Kompositionen hatte er dagegen seine Schwierigkeiten. Die Figuren wirken manchmal wie ausgeschnitten auf eine Fläche geklebt, und ein das Bild vereinheitlichendes Gesamtgefüge der Personen und Gegenstände wird nur unter sichtbaren Schwierigkeiten erreicht. Das »Gastmahl« ist in dieser Hinsicht allerdings eines von Feuerbachs besten Bildern und verdient es, an seinem ungünstigen Hängungsort einmal in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt zu werden. Werner Köhler

Bis 13. September, Mi.-Sa. 10-18 Uhr, Alte Nationalgalerie, Bodestraße 1/3, Mitte.