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In Indiens Nordwesten steigt das Wasser

Narmada-Staudamm in Indien: Trotz eines vernichtenden Gutachtens eines früheren UNO-Entwicklungsprogrammdirektors fährt die Weltbank mit dem umstrittenen Projekt fort/ „Soziale und ökologische Kosten überhaupt nicht mitgerechnet“  ■ Von Lothar Langer

Seit Jahren protestieren einheimische Betroffene und Umweltschützer gegen den Bau von Staudämmen an der Narmada in Nordwestindien. 1991 bekam die „Bewegung zur Rettung der Narmada" (NBA) sogar den alternativen Nobelpreis.

Die indischen Behörden ließ das kalt. Sie wollen den Staudamm haben, auch mit Gewalt. Der Monsun hat in Indien im Juli eingesetzt, und es wird erwartet, daß die Wasser des Sardar-Sarovar-Stausees bald das Dorf Manibeli im Bundesstaat Maharashtra, erreichen wird. Die NBA meldet Polizeieinsätze aus Taloda, einer Waldregion, die abgeholzt wird, um durch den Narmada-Staudamm Vertriebene anzusiedeln. Nach NBA-Angaben wird das Gebiet jedoch von Ureinwohnern bewohnt und genutzt. Am 13.Juli hätten Polizei und Forstwachleute das Feuer auf protestierende Ureinwohner eröffnet. Dabei sei die 35jährige Dhanibai Nawa Padvi getötet und eine weitere Frau schwer verletzt worden.

Infolge weltweiter Kritik hatte die Weltbank im vergangenen Jahr eine unabhängige Kommission eingesetzt, die das größte Narmada-Staudammprojekt — das seit 1987 im Bau befindliche Sardar-Sarovar-Projekt — untersuchte. In ihrem Mitte Juni veröffentlichten Bericht weist die vom ehemaligen UNDP-Direktor Bradford Morse geleitete Kommission der Weltbank schwerwiegende Fehler nach: „Wir denken, daß die Narmada-Projekte nicht stimmig sind, daß Umsiedlung und Rehabilitierung all derer, die von diesem Projekt vertrieben werden, unter den gegebenen Umständen nicht möglich sind, und daß die Umweltauswirkungen des Projektes weder sorgfältig überlegt noch angemessen berücksichtigt worden sind.“

35.000 Hektar Acker und Urwald bedroht

Wenn das Projekt verwirklicht würde, verschwänden 250 Städte und Dörfer der indischen Bundesstaaten Gujarat, Maharashtra und Madhya Pradesh im Stausee. 35.000 Hektar fruchtbaren Ackerlandes und primären Urwaldes würden untergehen. Insgesamt 250.000 Menschen wären von den Baumaßnahmen betroffen, ein Großteil davon Adivasi, indische Ureinwohner. Sowohl die Weltbank als auch die indische Regierung hätten sich, so Morse, keine Gedanken um die sozialen Folgen des Sardar-Sarovar-Projektes gemacht. Die Befürchtungen der Betroffenen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren, sei daher berechtigt. Der Morse-Bericht moniert auch, daß die Umweltrichtlinien der Weltbank, die beispielhaft für eine Entwicklungsagentur seien, im Falle des Sardar-Sarovar-Projektes ignoriert wurden. „Manche glauben, daß diese Anforderungen es schwieriger, oft teurer machten, Megaprojekte wie Sardar Sarovar zu errichten. Dies bedeutet, daß soziale und ökologische Kosten bei Projektplanung und -durchführung überhaupt nicht mitgerechnet werden."

Die Untersuchungskommission habe in den zehn Monaten ihrer Arbeit „den Eindruck gewonnen, daß in der Weltbank die Forderungen der Techniker ein weitaus größeres Gewicht haben als die Bedürfnisse der Betroffenen oder der Umwelt.“ Wenn einmal die Bauarbeiten begonnen haben, lasse sich nur wenig verändern. Die Gutachter fordern einen vorläufigen Baustopp, um die versäumten Studien über soziale und ökologische Verträglichkeit nachzuholen. Bruni Weißen, Mitarbeiterin der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt in Berlin, koordiniert die Proteste gegen das Sardar-Sarovar- Projekt in der Bundesrepublik. „Nach den Ergebnissen dieses Berichts muß die Weltbank sich aus dem Projekt zurückziehen, wenn sie nicht wissentlich Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung finanzieren will." Der Finanzierungsanteil der Weltbank mache zwar nur 18 Prozent aus, aber ein solcher Rückzug bedeute ein Signal für alle anderen Kreditgeber, sich ebenfalls zurückzuziehen. Darüber hinaus könne ein Präzedenzfall Narmada auch leicht zum Aus für andere Mega-Staudammprojekte in der Dritten Welt führen. Die Aufforderung zum Rückzug betreffe auch Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger, dessen Ministerium über den deutschen Exekutivdirektor Entscheidungen über Weltbank-Kredite mittrügen. Beamte des Ministeriums seien durch den Morse-Bericht aufgeweckt worden, so berichtet Frau Weißen, aber die Antwort des Ministers stehe noch aus.

Japan und EG-Parlament auf Distanz

Die japanische Regierung hatte schon 1990 eine Kreditzusage von 200 Millionen Dollar nach zunehmendem Druck der kritischen Öffentlichkeit zurückgenommen. Das Europäische Parlament in Straßburg forderte am 9.Juli die Weltbank mit großer Mehrheit auf, sich aus dem Sardar-Sarovar-Projekt zurückzuziehen und die Betroffenen zu entschädigen. Die Entschließung appelliert an die indische Regierung und die Regierungen der Bundesstaaten Gujarat, Maharashtra und Madhya Pradesh, den Staudamm nicht nach den bisherigen Plänen weiterzubauen, „sondern nach brauchbaren Alternativen für die Wasserversorgung der dürregefährdeten Gebiete zu suchen und diese zu realisieren.“ Lewis Preston, Präsident der Weltbank, hat inzwischen zugegeben, daß es Probleme mit dem Projekt gibt und kündigte eine umfassende und detaillierte Antwort auf den Morse- Bericht an.

Inzwischen hat er eine Delegation unter Leitung von Pamela Cox nach Indien entsandt. Eine Entscheidung der Weltbank über die Fortsetzung der Finanzierung könnte Anfang September auf einem Board-Meeting der Exekutivdirektoren fallen.

Aus zuverlässiger Quelle ist bekannt, so der Vertreter der NBA, daß die Weltbankdelegation von indischen Regierungsvertretern in das Gebiet geführt werden sollte, um Fortschritte bei der Umsiedlung von Narmada-Vertriebenen zu demonstrieren. Die Delegation vermeide jedoch offizielle Kontakte mit NBA und besuche Dörfer nur mit Regierungsvertretern. NBA fordert von der Weltbank, die Kreditvergabe für das Narmada-Projekt zuerst zu stoppen und dann eine Delegation zu schicken.

Informationen über den internationalen Widerstand gegen das Narmada-Staudammprojekt: Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e.V. Hedemannstr. 14, 1000 Berlin 61, Tel. 030-2510265

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