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Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt

■ Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat bei den Beschäftigten des Ostberliner öffentlichen Dienstes unterschiedliche Reaktionen ausgelöst

Berlin. »Wir warten händeringend auf die schriftliche Urteilsbegründung, weil sich daraus noch eine Menge ergeben kann.« Das war gestern der übereinstimmende Tenor von Postgewerkschaft, Gewerkschaft der Polizei und Innenverwaltung auf die Frage, wie es nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts weitergeht. Wie berichtet hat das Gericht entschieden, daß Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Ost-Berlin und den neuen Bundesländern, die auf Dauer im öffentlichen Dienst in den alten Bundesländern beschäftigt sind, nach den im Westen geltenden Tariflöhnen entlohnt werden müssen. Nach Schätzung des stellvertretenden Senatssprechers Heußen sind von dem Urteil rund 10.000 Ostbeschäftigte im Westberliner öffentlichen Dienst betroffen. Er bezifferte die möglichen Kosten der Gehaltsangleichung plus Nachzahlung auf rund 100 Millionen Mark.

Die Stimmung der Ostberliner Beschäftigten im Postgiroamt, die die Präzedenzklage angestrengt hatten, beschrieb die stellvertretende Vorsitzende der Postgewerkschaft im Postgiroamt, Siegrid Gerigk gestern zwischen »himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt«. Der Grund: Die rund 380 Beschäftigten seien zwar alle am 1. April 1991 vom Postgiroamt übernommen worden, versähen aber zum Teil weiter ihren Dienst in den ehemaligen Räumen des aufgelösten Hauptpostscheckamts im Ostteil der Stadt. »Diese Kollegen«, so Gerigk, »befürchten jetzt, daß das Urteil für sie nicht gilt.« Die Personalvertretung sei jedoch der Auffassung, daß allen Ostberliner Beschäftigten im Postgiroamt nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz eine Gehaltsangleichung zustehe, egal wo ihr Schreibtisch steht. Gegebenenfalls werde deshalb noch eine weitere Klage angestrengt.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat Innensenator Heckelmann bereits in der vergangenen Woche aufgefordert, so schnell wie möglich Konsequenzen aus dem Urteil zu ziehen. »Wir fordern die volle Lohnangleichung für alle 8.000 Ostberliner Polizeiangehörigen rückwirkend zum 1. Oktober 1990«, erklärte der GdP-Geschäftsführer Klaus Eisenreich. Andernfalls seien soziale Spannungen zu befürchten. Die Stimmung auf den Polizeirevieren in Ost-Berlin beschrieb der Personalrat eines Abschnitts in Prenzlauer Berg, Horst Prüfer, gestern so: »Die einen Kollegen hoffen. Die andern glauben, daß sie mal wieder die Gelackmeierten sind.« Daß jetzt nur die nach der Wende in den Westen abkommandierten ehemaligen Volkspolizisten eine volle Lohnangleichung bekommen sollen, sei nicht einzusehen. »Trotzdem«, so Prüfer, »sind wir dankbar für das Urteil, weil darauf weitergehende Klagen aufgebaut werden können.« plu

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