: Ostsee-Autobahn schwächt den Osten
Wissenschaftliches Institut des Bundesbauministeriums prognostiziert negative Auswirkungen der A20/ Autobahn wird in der strukturschwachen Region eine Sogwirkung in Richtung Westen auslösen ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — Die geplante OstseeAutobahn wird den nordöstlichen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile bringen. Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR), eine wissenschaftliche Einrichtung des Bundesbauministeriums. Sie bestätigt damit Befürchtungen, die Bürgerinitiativen und Umweltverbände entlang der geplanten Trasse bereits in den letzten Wochen geäußert hatten.
In dem kürzlich veröffentlichten Gutachten der BfLR wird vor allem auf die Sogwirkung der Ostsee-Autobahn hingewiesen: „Fernpendeln und Abwanderung von insbesondere jüngeren und qualifizierten Arbeitskräften ist die Folge.“ Die ländliche und strukturschwache Region habe nach dem Neubau der Autobahn A20 der wirtschaftlichen Sogwirkung von Hamburg und Lübeck nichts mehr entgegenzusetzen. Entgegen den von Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) geschürten Erwartungen wird es den Menschen im Nordosten also mit der Autobahn eher schlechter gehen als ohne.
In ihrer Studie zu den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit hatten die Bonner BfLR-Wissenschaftler Horst Lutter und Thomas Pütz zudem aufgezeigt, daß in den neuen Bundesländern vor allem der Ausbau der Bahnverbindungen eine deutliche Verbesserung von Reisezeiten und räumlicher Anbindung der Menschen an die großen Ballungszentren bewirken könne. Die Schlußfolgerung für den Bau der Verkehrsprojekte müsse daher lauten: „Schienenprojekte zuerst und mit größerem zeitlichem Druck“. Im strukturschwachen Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern würde eine bessere Schienenanbindung gerade dem Fremdenverkehr guttun. Die geplante Autobahn A20 werde sich auf die betroffene Region Mecklenburg- Vorpommern dagegen „eher negativ auswirken“, so die Wissenschaftler. Nicht nur die Fachkräfte würden abwandern, auch Industriebetriebe hätten kaum eine Überlebenschance. „Der weite Transport von Fertigprodukten wird günstiger als die Produktion vor Ort.“ Sogar der Fremdenverkehr werde durch die massenhaften Autoausflügler in Mitleidenschaft gezogen.
Im Bundesbauministerium ist die Studie seit längerem bekannt. Die Erkenntnisse werden aber keine Auswirkungen auf die konkrete Politik des Ministeriums haben. Nach der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans im Kabinett stehe die Ostsee-Autobahn nicht mehr in Frage. „Mit der Kabinettsentscheidung ist das gelaufen“, so Sprecher Robert Scholl. Schon im vergangenen Jahr hatten die in ihrer Arbeit relativ unabhängigen Wissenschaftler der BfLR vor neuen großen Ost- West-Autobahnen gewarnt. Lutter argumentierte damals, es gelte die „starke Berlin- und Westabhängigkeit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung“ in den fünf neuen Ländern langfristig wieder abzubauen. „Größere Neubauten von Autobahnen sollten derzeit nicht erwogen werden.“
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