: Rußland kann IWF-Plan nicht halten
■ Währungsfond beschließt erste Tranche des 24-Milliarden-Dollar-Hilfspakets/ Außer Hoffung hat das Land nicht viel zu bieten/ Russische Regierung sieht Reformkurs durch Zentralbank bedroht
Moskau/Berlin (taz/dpa) — Den 1. August hatte sich Michel Camdessus in seinem Terminplan dick angekreuzt. Bis zu diesem Datum sollte die russische Regierung jene Wirtschaftsreformen eingeleitet haben, die mit dem Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Frühjahr ausgehandelt wurden. Doch kurz bevor das Bretton- Woods-Institut gestern Rußland als kreditwürdem Mitglied grünes Licht für die erste Tranche des 24-Milliarden-Dollar-Hilfspakets in Höhe von einer Milliarde Dollar geben wollte, liefen die Hiobsbotschaften aus Moskau ein.
Kleinlaut mußte die russische Regierung eingestehen, daß sich die Umsetzung der Reformvorhaben wieder einmal hinauszögern wird. Die Begründung: Rußlands Bürokratie arbeite zu langsam. Nun sollen die Auflagen des IWF bis Anfang September umgesetzt werden.
Die beiden Großkredite — neben dem IWF-Paket will die Weltbank heute mit einem 600-Millionen-Dollar-Paket folgen — sind jedoch durch den neuerlichen Aufschub nicht gefährdet. Mit dem Geld der Weltbank will die russische Regierung dringend benötigte Importwaren für den Gesundheits- und Energiebereich, das Transportwesen und die Landwirtschaft finanzieren. Der IWF- Kredit bildet den Grundstock für das auf dem Münchner Weltwirtschaftsgipfel von den sieben reichsten Industrienationen (G-7) beschlossenen Hilfsprogramms, dessen zweite Überweisung mit drei Milliarden Dollar schon im Oktober folgen soll — falls die russische Regierung bis dahin die Voraussetzungen für den ebenfalls in München abgesegneten Dreistufenplan zur Umstrukturierung ihrer Wirtschaft einhält. Dabei sollen vor allem Eigentums- und Investitionsfragen geregelt, der Rubel mit einer strikten Geldpolitik stabilisiert sowie die Staatsausgaben eingedämmt werden. Doch die IWF-Experten bleiben skeptisch: Die Wirtschaftsdaten fallen von Monat zu Monat schlechter aus; die Schulden der Staatsbetriebe, die noch immer zu drei Vierteln die Wirtschaft bestimmen, treiben ins Gigantische, während die Industrieproduktion weiter sinkt.
Die russische Regierung wiederum sieht ihre Anti-Inflationspolitik durch eine geplante großzügige Kreditvergabe der Zentralbank an die Staatsunternehmen gefährdet. In einer Sondersitzung des Kabinetts unter Leitung von Vizeregierungschef Wladimir Schumeiko wurde der Zentralbankchef Wiktor Geraschtschenko am Dienstag aufgefordert, sein in einem Telegramm formuliertes Angebot an die Staatsunternehmen vom 28.Juli zurückzunehmen. Nach offiziellen Angaben betrug die Verschuldung der Staatsunternehmen zum 1.Juni rund 150 Milliarden Rubel (etwa 1,66 Mrd. Mark).
Unklar blieb, ob Geraschtschenko seine Maßnahme tatsächlich zurücknehmen wird. Nach der Kabinettssitzung sagte Wirtschaftsminister Andrej Netschajew der Nachrichtenagentur Interfax, der Zentralbankchef werde seinen Plan aufgeben. Geraschtschenko sagte hingegen in einem Interview mit der Iswestija: „Das ist unsere übliche Methode zur Lösung der Krise (der Staatsunternehmen).“
Obwohl die Zentralbank dem Parlament untersteht, dessen Abgeordnetenmehrheit weiter an eine zentral gelenkte Wirtschaftspolitik glaubt, sagte Geraschtschenko, die Zentralbank werde sich an die Abmachungen mit dem IWF halten. Der Regierung nahestehende Ökonomen hatten dagegen in den vergangenen Tagen eindringlich gewarnt, daß eine unkontrollierte Kreditvergabe die Inflation hochschnellen und die Politik des knappen Geldes unterlaufen würde. Reduzierung der Inflationsrate und eine kontrollierte Geldpolitik sind zwei der Forderungen des IWF für die Vergabe westlicher Hilfe in Höhe von 24 Milliarden Dollar. Die liberale Wirtschaftswochenzeitung Kommersant kommentierte das Telegramm mit den Worten: „Die Kreditvergabe der Zentralbank steht klar im Gegensatz zur Politik der Inflationsverringerung der Regierung Gaidar.“ Und auch die Iswestija kommentierte gifitg: „Die Maßnahme der Zentralbank kommt einer Katastrophe gleich und bedeutet das Ende der marktwirtschaftlichen Reformen.“
Wirtschaftsminister Netschajew sagte, es sei besser, die Schulden der Unternehmen gegeneinander zu verrechnen. Er verwies damit auf einen Erlaß des russischen Präsidenten vom 1.Juli, in dem dieser die Schulden der Staatsunternehmen zeitweise eingefroren und eine Kommission beauftragt hatte, die Verbindlichkeiten gegeneinander zu verrechnen. Erwin Single
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