: "Brownie Mary" backt für AIDS-Kranke und steht dafür vor Gericht
■ Die Haschkeks-Bäckerin
Die Haschkeks-Bäckerin
San Francisco (taz) — Die wahre Mutter Theresa erfüllt ihre Mission nicht in den Slums des indischen Subkontinents — sie lebt in San Francisco, ist 69 Jahre alt, wird „Brownie Mary“ genannt und ist eine notorische Haschkeks-Bäckerin.
Mary Rathbun, so ihr bürgerlicher Name, steht jetzt wegen Rauschgiftbesitzes vor Gericht. Daß die alte Frau mindestens soviel Gutes tut wie die Schwester in Kalkutta, davon ist ihr Awnalt J. David Nick zutiefst überzeugt. Und das sagt er auch, in der Manier des wütenden jungen Mannes, in jede sich bietende TV-Kamera. Denn „Brownie Mary“ produziert ihr anturnendes Backwerk nicht etwa für den Eigengebrauch, sondern stellt die Kekse ausschließlich Menschen mit Aids zur Verfügung — gegen die Schmerzen der Immunschwächekrankheit und die Übelkeit, die von der Behandlung ausgelöst wird. Für diese illegale Wohltätigkeit wurde sie im Jahre 1986 vom General Hospital in San Francisco als „freiwillige Helferin des Jahres“ ausgezeichnet.
Mary Rathbun, die seit den sechziger Jahren eine Fürsprecherin des Marihuana-Rauchens ist, mußte nun am Dienstag vergangener Woche in Santa Rosa bei San Francisco wegen Rauschgiftbesitzes in besonders schwerem Fall vor den Richter treren. Sie war am 19.Juli auf frischer Tat ertappt worden, als sie mit einem Helfer etwa ein Kilogramm Marihuana unter den Teig ihrer berühmten „Brownie“-Kekse mischte.
Zu einem kleinen Tumult kam es am Dienstag bei ihrer ersten Anhörung im Gerichtssaal. Richter Gayle Huynup forderte die Frau sehr lautstark auf, einen kleinen goldenen Kettenschmuck in Form eines Hanf- Blattes sowie einen Pro-Marihuana- Button abzulegen. Das Tragen dieser Symbole sei eine Respektlosigkeit gegenüber dem Gericht, so Huynup. Beim nächsten Termin habe Rathbun ohne diesen Schmuck in den Saal zu kommen.
Der Anwalt von „Brownie Mary“ machte dagegen das in der Verfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung geltend. „Sie darf sich an jedem Platz in diesem Land symbolisch ausdrücken, also auch in diesem Gerichtssaal“, sagt J. David Nick. Der Anwalt kündigte gegenüber der taz an, daß er deshalb beim nächsten Gerichtstermin am 25.August eine Krawatte mit aufgedruckten Hanfblättern tragen werde.
Mary Rathbun selbst sagte, daß sie den Kettenanhänger von ihrer Tochter geschenkt bekommen habe, die vor zehn Jahren gestorben sei. Deshalb werde sie den Schmuck nicht ablegen.
Rathbun erklärte sich als nichtschuldig: „Ich bin keine Kriminelle, und ich habe auch nichts Falsches getan. Ich will doch nur den Leuten helfen. Der medizinische Gebrauch von Marihuana muß in diesem Land dringlichst erlaubt werden.“
Hintergrund des heftigen Gefechts im Gericht ist ein „Rechtsgefälle“ zwischen der Stadt San Francisco und dem Staat Kalifornien. Die Bürger der Stadt hatten sich bei einer Volksabstimmung („Proposition P“) im vergangenen November dafür ausgesprochen, daß die Behörden die medizinische Verwendung von Marihuana tolerieren. Polizei und Staatsanwaltschaft, so eine Resolution des Stadtrats Terrence Hallinan, sollten in diesen Fällen möglichst nicht eingreifen.
Dummerweise wurde Mary Rathbun mit ihrem Keksteig aber im Nachbar-Landkreis Sonoma County erwischt. Und dort hält man es eben nicht mit der lockeren Hanf-Politik San Franciscos. Auf der Ebene der Bundesstaaten und bundesweit ist Marihuana als Droge der obersten Gefahrenklasse eingeordnet, und ihr Besitz ist verboten.
Obwohl „Brownie Mary“ nun also in Santa Rosa, Sonoma County, vor Gericht steht, ist Anwalt J. David Nick davon überzeugt, daß er in diesem Präzedenzfall einen Freispruch erreicht. „Marihuana gehört in die Hände von kranken Menschen. Ich werde die Jury davon überzeugen, daß Mary das Recht brechen mußte, um größeren Schaden abzuwenden.“
Das Stadtparlament von San Francisco veranstaltete am ersten Gerichtstag von „Brownie Mary“ ein Hearing zur medizinischen Verwendung von Marihuana und über die Resolution Hallinans. Dort legte ein weites Spektrum von Ärzten, Aids- und Krebspatienten sowie Bürgerrechtlern ein Plädoyer für die Hanfnutzung ab. Eine frühere Polizistin berichtete, daß ihr Marihuana geholfen habe, eine Krebs-Chemotherapie durchzustehen. „Brownie Mary“ wurde bei dem Hearing mit stehenden Ovationen begrüßt. Ein Stadtrat hatte gar vorgeschlagen, den vergangenen Freitag zum „Bownie-Mary- Day“ zu erklären, hatte dieses Ansinnen aber nicht mehr schnell genug ins Stadtparlament einbringen können. (Die taz-Wahrheit wird über den weiteren Verlauf des Prozesses berichten.) Hans-Hermann Kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen