PORTRAIT
: Gegenspieler Chomeinis, Hoffnungsträger der Schiiten

■ Der höchste schiitische Geistliche im Irak, El Khoi, ist gestorben/ Bagdad ordnete sofortige Beisetzung im stillen an

Nikosia/Berlin (AP/taz) —Der höchste schiitische Geistliche im Irak, Großayatollah Abdel Qassem El Khoi, ist am Wochenende in Nadschaf, im Süden des Landes, gestorben. Wie sein Enkel Jussif El Khoi gestern in London mitteilte, erlag der 93jährige islamische Würdenträger am Samstag einem Herzinfarkt, nachdem ihm im letzten Monat ein Herzschrittmacher eingesetzt worden war. Die irakischen Medien meldeten den Tod des Geistlichen und verkündeten drei Tage Staatstrauer.

Gegen Ende des Golfkrieges hatte der greise Großajatollah als wichtige Integrationsfigur des schiitischen Aufstandes im Südirak auch im Westen eine gewisse Berühmtheit erlangt. Seine Beziehungen zur Regierung in Bagdad waren folglich nicht ohne Spannungen. Sein Großvater sei unter dem Druck der irakischen Behörden am Sonntag im engsten Familienkreise beigesetzt worden, berichtete denn auch der Enkel des Geistlichen. Von der Familie in Nadschaf habe er erfahren, daß die Polizei nach El Khois Tod in ihrem Hause erschienen sei und die sofortige Bestattung angeordnet habe. Bei der Beerdigung seien nur drei Angehörige zugegen gewesen. „Sie befürchteten Schwierigkeiten“, sagte der Enkel in Anspielung auf den Konflikt zwischen Iraks Schiiten und Bagdad.

Auch wenn er während des irakisch-iranischen Krieges öffentlich die Partei Bagdads ergriffen hatte, galt El Khoi der irakischen Regierung spätestens seit den schiitischen Aufständen gegen Ende des zweiten Golfkrieges als politischer Gegner. Tatsächlich war er politisch eher abstinent. Er war ein Exponent jener Richtung der Schia, nach deren Auffassung alle weltliche Macht dem Mahdi, dem „Verborgenen Imam“ gebührt. Seine hohe geistliche Stellung verdankte Khoi gerade dieser politischen Zurückhaltung. Als 1970 der unangefochtene Führer der Schiiten, Großajatollah Mohsen, starb, entbrannte ein Streit um seine Nachfolge. Als neuer Mardja, als „religiöses Vorbild der Schiiten“ war neben El Khoi auch der iranische Ajatollah Chomeini im Gespräch. Doch die Mehrheit der schiitischen Geistlichen folgte seither El Khoi. Das änderte sich auch nach 1979 nicht, als Ajatollah Chomeini die politische Macht in Teheran übernahm. Vom südirakischen Nadschaf aus übernahm El Khoi die Rolle des Gegenspielers zum iranisch-islamischen Revolutionsführer. Für Khoi war die islamische Revolution Blasphemie, weil sie der Machtergreifung des Mahdi vorgriff.

Während des irakisch-schiitischen Aufstandes im Frühjahr war der greise Ayatollah eines Tages verschwunden. Die Öffentlichkeit rätselte über seinen Verbleib. Eines Abends zeigte er sich mit Saddam Hussein im Fernsehen. Er habe den Aufstand seiner Glaubensbrüder im Südirak verurteilt, hieß es danach aus offiziellen Quellen in Bagdad. Die schiitische Opposition hingegen behauptete, El Khoi sei gewaltsam festgehalten und zum Auftritt mit Saddam gezwungen worden. N.C.