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„BORN IN THE USA“ Von Andrea Böhm

Billy Jones aus Fayetteville, North Carolina, war letzte Woche der Aufmacher der Weekly World News. Nicht weil er in Barcelona eine Goldmedaille gewonnen hat. Der Kleine hat einen außerolympischen Weltrekord aufgestellt. Billy Jones ist zweieinhalb Jahre alt — 1,35 Meter groß und wiegt 119 Kilo. Damit verweist er seine Konkurrenten im Rennen um die Auszeichnung als das dickste Kleinkind der Welt eindeutig auf die Plätze: den „gigantischen Jin Li“ aus China mit viereinhalb Jahren und 97 Kilo und das „King-Kong- Kindchen“ Carmen Alvarez aus Spanien, das mit drei Jahren 96 Kilo auf die Waage bringt. Alle drei Baby- Bomber sind prominent mit Foto abgebildet.

Nun glänzt Weekly World News ansonsten durch Berichte über menschenfressende Schildkröten, die eine Kleinstadt in Illinois terrorisieren, oder koreanische Hausfrauen, die ihre siamesischen Zwillinge mit einem Küchenmesser trennen. Sie ist also das Substitut für Leute, die sich Horrorvideos nicht leisten können.

Weshalb also die Geschichte von Billy Jones maßlos übertrieben oder ganz erfunden sein dürfte. Der Kopf hat verblüffende Ähnlichkeit mit einem ehemaligen deutschen Außenminister, der Körper mit dem des amtierenden Sumo-Weltmeisters. Dem Ganzen wird noch das Gütesiegel draufgesetzt mit der triumphierenden Überschrift: „Born in the USA“. Aber wie immer in solchen Fällen trifft die Geschichte einen Nerv der US-Gesellschaft: den Kampf gegen das Körperfett — gleichbedeutend mit dem Kampf gegen nationale Errungenschaften: Coca-Cola, Chocolate Fudge Cookies, Pancakes and Maple Syrup, Onion Flavored Potato Chips. Zu deutsch: Coca-Cola, Kekse mit dieselähnlicher Schokoladenschmiere, Pfannkuchen in Ahornsirup getränkt, Kartoffelchips mit Zwiebelgeschmack — allesamt Produkte, auf die nicht unbedingt das Wort „Nahrungsmittel“ zutrifft. Sie werden folgerichtig „Junk food“ oder „Müllfutter“ genannt.

„Müllfutter“ ist eßbar, macht fett und rutscht täglich tonnenweise durch amerikanische Speiseröhren. „Müllfutter“ sind zum Beispiel Sandwiches von der Länge eines Unterarms, bestehend aus Weißbrot mit angetäuschter Kruste, gefüllt mit Mayonnaise, Senf, Zwiebeln, einem Berg Schinken, Käse oder Roastbeef. Jeder Biß erfordert eine überirdische Dehnung der Kiefermuskulatur. Kinder lernen so schon in frühen Jahren, den Doppelwhopper unter Kontrolle zu bringen. Aber das führt dann wie im fiktiven Fall von Billy Jones zu Gewichtsproblemen.

Jeder vierte kleine Amerikaner ist fettleibig, aber das ist wirklich nicht die Schuld der Kleinen. Das fängt schon bei der Schulspeisung an, wenn die Schulverwaltung aus Geldmangel frische Tomaten vom Speiseplan streicht und unter der Rubrik „Gemüse“ Ketchup einträgt. In einer Studie stellten Ernährungswissenschaftler sehr zum Ärger der US- Vereinigung der Lebensmittelproduzenten fest, daß nicht eine einzige Kekssorte, kein einziger Müsliriegel, Hot dog oder Mittagssnack für den kindlichen Verzehr geeignet ist. Jetzt werden verschiedene Arten nahrhafter Gegengifte propagiert, die aber bislang bei all den kleinen Billy Jones' auf Skepsis bis Ablehnung stoßen: zum Beispiel die Pizza auf Reisbasis mit Sojakäse. Schadenfreude auf der anderen Seite des Atlantiks ist übrigens unangebracht: Die USA exportieren ihre „Müllfutter“ für jährlich 600 Millionen Dollar — MacDonald's nicht miteingerechnet.

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