UNO-Resolution läßt alle Optionen offen

■ Der heute zur Abstimmung stehende Entwurf für den Sicherheitsrat zu Bosnien läßt offen, ob Nato oder WEU letztlich das Kommando übernehmen/ Bislang kein Widerspruch von Rußland und China

Berlin (taz) — Ein von den Vereinigten Staaten verfaßter und mit den westlichen UNO-Sicherheitsrats- Mitgliedern abgestimmter Resolutionsentwurf zur Sicherung humanitärer Hilfe wird am heutigen Mittwoch im Sicherheitsrat abgestimmt. Die Resolution „ruft alle Staaten auf, national oder mittels regionaler Agenturen oder Arrangements und in Koordination mit der UNO alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit humanitäre Hilfe durch UNO- und andere Organisationen für Sarajevo oder jeden Ort in BosnienHerzegowina, wo immer sie gebraucht wird, geleistet werden kann.“

Das Satz-Ungetüm, Ergebnis zäher Verhandlungen zwischen den USA auf der einen, Frankreich und England auf der anderen Seite, eröffnet ein nahezu unbegrenztes Feld militärischer Optionen. „Notwendige Maßnahme“ kann alles sein, von der bloßen Drohgebärde bis zum massiven Streitkräfteeinsatz. Wer die „Maßnahmen“ ergreifen soll, wird ebenfalls offen gelassen. Nato und Westeuropäische Union sitzen rivalisierend in den Startlöchern. „In Koordination mit der UNO“ ist eine Konzession an Frankreich, das ursprünglich darauf gedrängt hatte, das bereits bestehende UNO-Kontingent in Bosnien aufzustocken statt eine neue Streitmacht aufzustellen. „Humanitäre Hilfe“ bedeutet mehr als die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten — sie kann auch die Einrichtung von Sicherheitszonen für Flüchtlinge einschließen. „Wo immer gebraucht“ kann als Ermächtigung interpretiert werden, Hilfstransporte in jede der eingeschlossenen muslimisch-kroatischen Städte militärisch abzusichern.

Im Nato-Hauptquartier in Mons hat eine Planungsgruppe die Arbeit aufgenommen, die sich auf drei Hauptbereiche konzentriert: Beobachtung von Konzentrationspunkten schwerer Artillerie der Serben auf dem Gebiet Bosniens, Verstärkung der Seeüberwachung des Embargos, Vorbereitungen für den bewaffneten Schutz von Hilfstransporten. Im Milieu von Nato-Diplomaten zeigte man sich am Dienstag besorgt darüber, daß die politischen Ziele einer möglichen Militärintervention nicht klar definiert seien. Besonders die Aussicht, für den Schutz von Transporten massiv Bodentruppen einsetzen zu müssen, wirkt auf die Militärexperten wenig begeisternd, dies um so mehr, als sowohl die USA als auch England den Einsatz von Infanterie strikt ablehnen. Für diese Zurückhaltung gibt es zwei Gründe: die hohe Truppenzahl — für die Sicherung der Strecke Split-Sarajevo nach übereinstimmenden Schätzungen mindestens 100.000 Mann — und die Gefahr, in einen langen Guerilla-Krieg mit serbischen Freischärlern verwickelt zu werden. Kenneth Hunt, ehemaliger Luftwaffen- Brigadier und jetzt stellvertretender Leiter des Londoner Instituts für Strategische Studien, sah gegenüber der Financial Times wenig Sinn darin, nur eine schmale, aus der Luft unterstützte Bodentruppe zum Schutz der Transporte zu entsenden. „Es muß eine glaubwürdige Linie der Truppenmassierung eingeschlagen werden, sonst ist die ganze Aktion sinnlos und kann in einem Desaster enden. Persönlich würde ich für die Einrichtung von Sicherheitszonen plädieren sowie für Einsätze aus der Luft. Von einer Operation zur Sicherung von Transporten hingegen würde ich Abstand nehmen.“

Faßt man die zahlreichen Stellungnahmen von Politikern und Militärs in den vergangenen Tagen zusammen, so ergibt sich ein verwirrendes Bild: die ursprünglich am meisten befürwortete Option, die militärische Sicherung von Hilfstransporten, wird fast allgemein von den Experten als zu teuer und zu risikoreich verworfen. Ähnliches gilt für das Projekt, die Guerilla-Stellungen um Sarajevo und anderen bosnischen Städten auszuheben.

Im Unterschied zur Bundesrepublik, wo die Wirksamkeit der Guerilla mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg und Vietnam hoch eingeschätzt wird, gibt es allerdings in der angelsächsichen Öffentlichkeit eine kontroverse Diskussion über die tatsächliche Kampfkraft der serbischen Freischärler. Umstritten ist — auch aus politischen Gründen — die Einrichtung von Sicherheitszonen. Fast allgemein werden Militäraktionen aus der Luft befürwortet. Auch schweres Kriegsgerät der Serben könnte so zerstört und der Belagerungsring um Sarajevo, Gorazde, Bihac und anderen Städten zeitweilig gesprengt werden. Also eine Atempause für die eingeschlossene Zivilbevölkerung.

Welche Auswirkungen werden eventuelle „notwendige Maßnamen“ auf die schon jetzt in Sarajevo und in den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens stationierten Blauhelme haben? Die Offiziere fühlen sich unwohl. Und Butros Ghali würde am liebsten die Peace-keeping-forces abziehen, ehe die nächste Runde der Auseinandersetzung beginnt. C.S.