piwik no script img

Es sind Bauern dabei

■ Das Dresdner »Zwingertrio« mit seiner hintergründigen »Sehnsuchtsrevue« zu Gast im Theater der Wühlmäuse

Es ist heiß, sehr heiß auf der Nürnberger Straße, Ecke Lietzenburger, und die Premierengäste vor den »Wühlmäusen« haben das Dünnste aus dem Schrank geholt, das noch irgendwie schick wirken könnte. Hawaiihemden und braune Slipper dominieren die Szene, hängerfreie Tops und bequeme Pumps. Die Stimmung ist ausgelassen, ein erstes Pils rauscht die Kehle hinunter, es verheißt Kühlung, hält aber nicht ganz, was es verspricht. In ausgewaschenen Bermudahosen, wie sie das Publikum selbst erst vor einer Stunde abgelegt hatte, schlurfen drei junge Herren vor das Hauptportal und lassen sich, der Größe nach aufgereiht, von einem SFB-Kamerateam interviewen. Es sind Tom Pauls, Peter Kube und Jürgen Haase, die Komödianten des Dresdner »Zwingertrios« — auch wenn man es ihnen in dieser banal-komischen Freizeitkleidung kaum ansieht. Als sie eine Viertelstunde später in zu kurzen Hosen, schäbigen Fracks und mit pomadegestärktem Haupthaar Einzug auf der Bühne der Wühlmäuse halten, sieht das schon anders aus: »Ein Lied geht um die Welt« singen sie uns zum Auftakt, und als sich Peter Kube überdreht im Rhythmus der Musik wiegt, gibt er den Blick frei auf seine blaue Armbinde: »Deutscher Konzert- und Gastspieldirektor« steht darauf.

Er begrüßt uns aufs höflichste »hier auf der wunderschönen Kleinkunstbühne der Kabarettanstalt Die Wühlmäuse, an der Straßenkreuzung Nürnberger/Ecke Lietzendorfer, im schönen Wilmersdorf zu Berlin an der wunderschönen Spree«. Da lachen die Leute in den Hawaiihemden, »Lietzenburger« raunt es von schräg hinter mir korrigierend — sachlich richtig muß es ja schon zugehen, bei aller Komik! Aber oben auf der Bühne hat das niemand gehört, da geht es schon munter weiter im Text. Der Deutsche Konzert- und Gastspieldirektor stellt nämlich gerade sein Kollektiv — pardon: seine Kollegen — vor: allesamt »Multiinstrumentalisten«, wie sich gleich in der nächsten Nummer herausstellen wird, »hier auf der wunderschönen Kleinkunstbühne der Kabarettanstalt Die Wühlmäuse, an der Straßenkreuzung Nürnberger/Ecke Lietzendorfer, im schönen Wilmersdorf zu Berlin an der wunderschönen Spree«. Wieder lachen die Leute — es lebe der Running Gag! — und wieder raunt es von schräg hinten: »...burger, es heißt doch Lietzenburger!« Nun ja, die Herren kommen aus Dresden, dem Tal der Ahnungslosen, da will man nicht so sein, und es ist ja auch schon ziemlich komisch, wie dem da oben das Wort Conferencier nicht über die sächsischen Lippen will. »Wortdarbieter« ist ihm da schon viel vertrauter.

Sehr bewußt und erheblich subtiler, als manch einer in den Hawaiihemden glauben mag, spielen die drei vom Dresdner Zwingertrio mit ihrer deutsch-demokratischen Vergangenheit. Der Leitfaden ihres Programms heißt »Mit dem Zwingertrio um die Welt«, damit hatten sie unter dem Titel »Sehnsuchtsrevue« schon in der DDR Erfolg, damals vor drei Jahren, als Mallorca noch auf einer anderen Erdkugel lag. Jetzt hier in der alten Be-Er-De müssen sie natürlich etwas umdisponieren. Exotisch ist hier, wenn die drei »Im Frühtau zu Berge« mit eingestreuten Sambarhythmen intonieren oder vom kleinen Glück am »Wochenend' und Sonnenschein« singen. Das erinnert die Leute dann an ihre eigene Vergangenheit, damals 1958, als sie im VW-Käfer bis Rimini achtzehn Stunden gebraucht hatten. Wohlwollend amüsiert und ein bißchen zu überheblich lacht das Westpublikum über diese drei Männer, die sich so auffällig an der Komik des guten alten Heinz Ehrhard orientieren, an einer Zeit, als die Welt noch in Ordnung war, solange nur die Running Gags liefen. Ganz freiwillig machen sich die drei Sachsen zu dumperten Deppen, sächseln, weil sie wissen, daß darüber mit Sicherheit gelacht wird, und schmuggeln nur heimlich ihre eigenen Gags ins Tal der Ahnunglosen im Publikum unterhalb dieser wunderschönen Kleinkunstbühne der Kabarettanstalt Die Wühlmäuse, an der Straßenkreuzung Nürnberger/ Ecke Lietzendorfer im schönen Wilmersdorf. (»...burger!«)

Ein Herr in Reihe sechs kann sich vor Jovialität kaum noch halten, als der Kollege Haase auf das Stichwort »intellektueller Level« zwei Suppenlöffel hervorkramt. »Wohl vom Land hierhergekommen, um auch einmal die Sau rauszulassen«, schnauzt ihn der Gastspieldirektor DDR-unfreundlich an (gelernt ist gelernt!), »ich komme doch auch nicht an ihren Arbeitsplatz und lache mich über Sie kaputt!« Da haut sich der Herr aus Wilmersdorf noch heftiger auf die Schenkel. »Wo sollst du herkommen?« faßt seine Begleitung im Flüsterton nach, die nicht glauben kann, daß diese Hinterwäldler aus Dresden sie ernsthaft für eine Landpomeranze halten könnten.

Die Show geht weiter, immer weiter. Die Leute schlagen sich auf die Schenkel und fühlen sich dabei endlich einmal so herrlich weltmännisch-überlegen. Irgendwie hat man das ja alles schon hinter sich, läßtsich nun amüsiert erklären, was Castagnetten sind, und denkt dabei sehnsüchtig an die Costa Brava 1976. »Olé!« ruft doch wirklich der Herr in Reihe sechs und kommt sich dabei ziemlich geistreich vor.

»Red' irgend was, es sind Bauern darunter!« raunt der Wortdarbieter kurz vor der Pause seinem Kollegen zu, bevor er ihm für ein Solo die Bühne überläßt. »Wie war denn die Ernte?« fragt Tom Pauls voller Bauernschläue, und die Leute merken gar nicht, wie gemein das gemeint ist. Dann gibt es noch ein bißchen »Country & Western« — »das freut die Traktoristen« und einen Klatschmarsch, »der uns ja nachgerade an alte Zeiten erinnert«. Schon wechselt die Kombo hinüber ins große Finale, verabschiedet sich mit einem letzten musikalischen Gruß und in der Hoffnung, daß doch vielleicht ein kleiner Funke im Kopf der Landbevölkerung hier in Wilmersdorf hängengeblieben ist: »Daß es da noch etwas anderes gibt«, sollten die Traktoristen auf dem Nachhausegehen erkennen, dann wäre der Abend doch schon ein Erfolg gewesen. Daß es gar nicht so schlecht war in den alten Zeiten (West), werden sie denken, wie schön es ist, daß sie inzwischen wissen, wie man das schwere Wort Castagnetten ausspricht und daß die armen Ossis das auch noch lernen werden. Klaudia Brunst

Das »Zwingertrio« bis zum 22.8., täglich außer Mo, 20.30 Uhr bei den Wühlmäusen, Nürnberger Straße 33

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen