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Kalifornische Stimmungen

Eine Werkübersicht von Richard Diebenkorn in Frankfurt  ■ Von Werner Köhler

Wer jemals in Kalifornien gewesen ist, schwärmt vom Licht und der Weite der Landschaft. Der amerikanische Maler Richard Diebenkorn, Jahrgang 1922, hat die meiste Zeit seines Lebens dort verbracht, und in seine Bilder ist die Großartigkeit dieser Gegend eingeflossen. Im Frankfurter Städel ist jetzt eine Werkübersicht mit 52 großformatigen abstrakten und figürlichen Bildern aus der Zeit von 1949 bis 1985 zu sehen.

Diebenkorn steht dem abstrakten Expressionismus nahe. Seine älteren Arbeiten aus der Zeit von 1949 bis 1955 sind im gestischen Stil gemalt, wirken aber im Vergleich zu den hier bekannteren Bildern von Newman, Rothko und Pollock eher informel. Diebenkorns Werk ist nicht rein abstrakt, sondern besitzt eine realistische Komponente. Eine Anekdote berichtet, daß er während eines Fluges im Sommer 1951 nach San Francisco von der Landschaft unter ihm so beeindruckt war, daß er begonnen hätte, „abstrakte Landschaften“ zu malen. Tatsächlich erinnern seine Bilder an geologische Formationen, wie man sie von Satellitenaufnahmen der Erdoberfläche her kennt. Da Diebenkorn außerdem die Arbeiten nach den Orten benennt, wo er sie gemalt hat, wird die gegenständliche Assoziation durch Titel wie „Albuquerque“, „Berkeley“, „Urbana“ noch unterstützt. Tatsächlich sind die Bilder eher an der Darstellung der Gefühle und Stimmungen interessiert, die durch Licht und Raum erzeugt werden.

1955 beginnt Diebenkorn plötzlich gegenständlich zu arbeiten und malt Stilleben, Porträts und Landschaften. Zu der Zeit, wo der ideologische Gegensatz zwischen der freiheitlichen abstrakten Malerei des Westens und der doktrinären realistischen Malerei des Ostens gerade aktuell wurde, ist dies eine große Überraschung. Diebenkorn sieht jedoch den Unterschied zwischen abstrakter und gegenständlicher Malerei nicht als wirklichen Gegensatz. Er interessiert sich auch in den gegenständlichen Bildern für Probleme der Darstellung von Stimmungen.

Seine realistische Werkphase ist zum einen von Henri Matisse und dessen dekorativem Stil beeinflußt, zum anderen steht sie Bildern Edward Hoppers nahe. Die Frauen, die Diebenkorn darstellt, erscheinen ähnlich entindividualisiert und passiv wie bie Hopper. Sie betreiben Müßiggang, trinken Kaffee, lesen Zeitung oder blicken einfach ins Weite.

In der Oberflächenbehandlung erhält der Farbhintergrund das gleiche Gewicht wie die Figurendarstellung, so daß rasch der Eindruck entsteht, daß es in den Bildern nicht um Porträts von Personen geht, sondern um die Verteilung von Farbflächen im Bildraum. Reproduktionen geben die sinnliche Wirkung des Farbauftrags nicht annähernd wieder. Die Nuancen und kleinteiligen Strukturen, die durch sich mehrfach überlagernde Farbschichten entstehen, gehen dabei verloren.

Nachdem Diebenkorn 1967 ein Atelier in der Gegend von Ocean Park in Santa Monica bezieht, kehrt er wieder zur abstrakten Malerei zurück. Er beginnt eine Serie von über hundert Bildern, die aus Linien und rechteckigen Figuren in zarter, weicher Farbgebung aufgebaut sind. Von der malerischen Technik her ähnelt die „Ocean Park“-Serie den Gemälden aus der realistischen Phase. Die Farben sind in mehrfachen Schichten lasurartig aufgetragen, so daß sich eine sehr differenzierte vielschichtige Tonabstufung innerhalb einer Farbe ergibt. Diebenkorn verwendet oft ein helles verwaschenes Blau als rechteckige Grundform und kontrastiert diese durch kleinere Flächen in kräftigem Grün, Gelb oder erdfarbenen Rot- und Brauntönen. Man kann sich diese Flächen lange ansehen und immer wieder neue Töne und Farbklänge entdecken. Es entsteht aber nicht wie bei Rothko eine soghafte Tiefenwirkung, sondern eher der Effekt, als ob man durch eine Oberfläche auf andere Oberflächen hindurchsehen könnte. Es wird eine Ruhe und kontemplative Stimmung erreicht, ohne daß eine metaphysische Tiefenwirkung anklänge.

Wie die frühen Arbeiten weckt auch die „Ocean Park“-Serie Assoziationen an Landschaftliches. Blau evoziert den Ozean, Grün die Wiesen, andere Farbtöne Felder, Straßen und Gebäude. Die geometrischen, überwiegend rechtwinkligen Kompositionen erinnern an Straßenkarten und Stadtpläne. Doch lassen sich die Bilder auch wieder als reine Farbklänge lesen und von ihrem Bezug zur Landschaft lösen. Sie bleiben abstrakt. Die Diagonalen, die etliche der Bilder durchqueren, wirken wie improvisierte Hilfslinien zur Konstruktion einer harmonischen Bildarchitektur. Im Gegensatz zu Malern, die mit Bilderserien auf eine paradigmatische, essentielle Grundform abzielen, wirkt jedes der „Ocean Park“-Bilder als Individuum für sich. Die Serie löst in unendlicher Variabilität immer wieder neue Stimmungsnuancen aus, die gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Es ist ein großes Verdienst des Frankfurter Kunstvereins und seines Direktors Peter Weiermair, daß hier in Deutschland zum ersten Mal das Werk Diebenkorns so umfassend zu sehen ist. Sämtliche Bilder stammen aus amerikanischen Sammlungen, die meisten aus Privatbesitz. Es ist eine einmalige Gelegenheit, die verschiedenen Werkphasen Diebenkorns im Zusammenhang kennenlernen zu können.

1988 hat Diebenkorn ein neues Atelier in Healdsburg in Nordkalifornien bezogen. Von diesem Umzug berichtet er: „Als ich ins nördliche Kalifornien zog, habe ich erwartet, daß diese wundervolle Landschaft einen ungeheuren Einfluß auf meine Arbeit haben wird. Bisher ist das nicht geschehen. Veränderungen haben ihre eigene Zeit. Aber ich bin immer offen für Einflüsse, daher gehe ich davon aus, daß der Ausblick irgendwann irgendetwas in mir anstoßen wird. So ist es bisher immer gewesen.“

„Richard Diebenkorn im Städel.“ Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt. Bis zum 23.August. Katalog: 160 Seiten, im Museum 49DM.

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