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Leben ist Zwiegespräch

■ Der Übersetzter Curt Meyer-Clason war zu Gast im Forum von Movimientos

war zu Gast im Forum von Movimientos

Gabriel Garcia Márquez, Pablo Neruda, Jorge Amado und viele andere lateinamerikanische Autoren hat der 80jährige Curt Meyer-Clason den deutschen Lesern in Übersetzungen nahe gebracht. Einige Tage war er zu Gast in Hamburg und berichtete im Forum von Movimientos 92 von Begegnungen mit der lateinamerikanischen Literatur und ihren Autoren. In einem Gespräch mit der taz wunderte er sich nicht nur über das eklektizistische „Holiday-Inn“, vielmehr schwärmte er von der Faszination Brasiliens und wie aus dem Kaufmann der Schriftsteller wurde: „Ob Kaufmann, Arzt oder Taxifahrer ist nicht wichtig. Entscheidend ist, daß man mit dem Wort leben will.“

Weihnachten 1936 verließ der gelernte Bankkaufmann Nazi-Deutschland. „Damals gehörte es zum guten Ton, daß man nach Übersse ging. Ich kam durch Zufall - nennen Sieś Zufall, aber das, was zufällt, ist ja kein Zufall - nach Brasilien, in das Land, das das Wichtigste in mir ausgelöste, dem ich das Beste meines Lebens verdanke.“ Er arbeitete für eine amerikanische Firma und wurde, als der Krieg in Europa ausbrach, interniert. „Das war die schönste, wichtigste Zeit meines Lebens überhaupt“, sagt er über die Internierung auf der tropischen Insel vor Rio De Janeiro, „weil da ein Mensch auf mich wartete.“ Dieser Mensch, ein Aristokrat, der vor der Gestapo aus Berlin geflohen war, landete auf der Insel, „um einem, der bisher nur Tennis und Jazz gespielt hatte, beizubringen, was der Geist ist.“ Jeden Tag hörte der junge Meyer-Clason beim Tee aus dem Blechbecher Vorlesungen über Aristophanes bis André Gide.

Da er nun nicht mehr einer der überflüssigen Millionäre werden wollte, kam er 1951 wieder nach Deutschland und fand eine Stelle als Lektor. Damals sei es mühsam gewesen, lateinamerikanische Literatur überhaupt an den Verleger zu bringen: „Die Leute sagten einfach, wir verstehen das nicht.“

Doch die lateinamerikanische Literatur war längst auf dem Weg, ihre eigene Identität zu finden. 1922 wurde der brasilianische Modernismo während der Woche der Kunst in Sao Paolo ausgerufen: „Abkehr von europäischen Vorbildern, Abkehr vom engen portugiesischen Satzbau, vom Surrealismus, von europäischen Gruppen und Be-

1sinnung auf die eigene sprachliche Vielfalt.“ Die Farbigkeit und Freude versuchte Meyer-Clason in die rationale deutsche Welt hinüberzutragen. Da die lateinamerikanische Literatur den Dialog betone, sei sie besonders geeignet als Ausgangspunkt für das Theater, wie es beim Sommertheater in der Inszenierung des Márquez-Romanes „Der Oberst hat niemanden, der ihm schreibt“ zu sehen war. „Das Leben entsteht durch das Zwiegespräch, die Suche des Du. Nachher stellt sich heraus, daß das leicht auf die Bühne zu stellen ist. Wenn Sie aber die deutsche Literatur der

1Nachkriegsjahrzehnte lesen, dann ist das, was man als Dialog lesen könnte, nichts weiter als Dialektik.“ Bei Hölderlin fand er den Vers „Wir waren ein Gespräch“, ein Symptom dafür, daß der Dialog in der deutschen Literatur bereits im 18. Jahrhundert gestorben ist. „Wir sprechen nicht mehr zueinander, wir sprechen nur zu uns selbst, wühlen im Seelensumpf und finden nur noch Würmer, aber kein Echo.“ Die Schriftsteller Lateinamerikas dagegen stehen in der Gesellschaft, aus der sie ihre Wahrheit der fünf Sinne nähren. „Wenn sie nur noch kritisieren würden,

1dann würden viele sagen, naja, dieser Dreckhaufen, von Nordamerika verdorben und abgewürgt, voller Korruption - weg damit. Nein, sie leben ja, sie schöpfen ja aus ihrem Land.“ Den ungebrochenen Lebenswillens fand er auch in Joan Cabralls Gedicht „Tod und Leben des Severino“. Das Ende des armen Severino nach einem langen Kreuzweg „ist durch alle Ängste hinweg ein Aufbruch.“ Und wie überlebt ein Übersetzer? „Wenn man nach Anerkennung schielt, ist man als Übersetzer falsch verbunden. Der Dank für die Übersetzung ist, daß man denkt: Es ist gelungen.“ jk

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