piwik no script img

»Wer die Probleme kennt, muß handeln«

■ Das Gewerbesterben in Kreuzberg geht weiter/ Warten auf die Bundesratsinitiative/ AL-Baustadträtin und Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen in der SPD wollen Senat in die Pflicht nehmen/ Im Kiez gibt es kaum noch Hoffnung

Kreuzberg. Kurz vor dem 25jährigen Jubiläum traf es auch ihn. Strickmoden-Radke, alteingesessen und den Kreuzbergern bestens bekannt, mußte gehen. 70 statt bisher 20 Mark für den Quadratmeter sollte er nach dem Willen der Berolina Grundstücks GmbH für sein Ladengeschäft am Mehringdamm 51 bezahlen. Zuviel für einen Betrieb, der außerdem seine Produktionsstätte in der unmittelbaren Nachbarschaft aufgeben mußte. Ähnlich erging es dem »Bauernstübchen« nebenan: Eine Mieterhöhung von 1.100 auf 6.500 Mark bedeutete das Aus nach über 28 Jahren. Nicht jeder am Mehringdamm hat schließlich soviel Glück wie der Korbmacher, der nur wenige Meter vom alten Standort entfernt neu eröffnen konnte.

»Ganz Kreuzberg ist im Umbruch«, sagt Erika Romberg, AL- Baustadträtin im Bezirk. »Die Situation südlich der Gneisenaustraße ist allerdings besonders auffällig.« Nachdem vor einem Jahr in der Zossener Straße das Ladensterben im 61er Kiez begonnen hatte, erreicht es nun den Mehringdamm. Die Prognosen sind düster. Zwei Drittel aller Gewerbemietverträge laufen bis 1996 aus, ermittelte jüngst der Wirtschaftssenator. Die Folge: horrende Preissteigerungen oder extrem kurze Vertragszeiten. Schließlich herrscht auf dem Gewerbesektor neben der »Goldgräberstimmung« die absolute Vertragsfreiheit.

Lösungen sind bisher nicht in Sicht. Die von der SPD- und CDU- Abgeordnetenhausfraktion ins Leben gerufene und vom Senat in deutlich abgeschwächter Form übernommene Bundesratsinitiative zur Beschränkung der Gewerbemietentwicklung ist in erster Lesung durchgefallen. Seither wird nur noch einer Verlängerung der Kündigungsfrist eine Chance eingeräumt. »Der Kern des Gesetzentwurfs«, so Horst-Jürgen Müller von der Arbeitsgemeinschaft Selbständige in der SPD, »droht bei der entscheidenden Ausschußsitzung am 25. September durchzufallen.« Müller spart nicht mit Kritik an der eigenen Partei: »Wenn Politiker wie Nagel oder Meisner tatsächlich etwas ändern wollten, würden sie auch ungewöhnliche Wege einschlagen.« Seine Forderung: ein Landesgesetz zur Mietpreisbindung für den Fall, daß die Berliner Initiative beim Bund durchfällt.

Im Kreuzberger Bauamt steht man der Bundesratsinitiative skeptisch gegenüber. »Das nutzt den aktuell Betroffenen wenig«, so Baustadträtin Romberg. Vielmehr sollten die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften endlich aufhören, als Preistreiber den Markt anzuheizen. Die in jüngster Zeit in Gang gekommene Diskussion über Milieuschutzverordnungen hält sie im übrigen für wenig hilfreich: »Solange nicht bauliche Veränderungen oder Branchenwechsel anstehen, hat das Bezirksamt keinerlei Eingriffsmöglichkeiten.« Ihre Forderung an den Senat: »Schluß mit der Kosmetik«, statt wie in der Gneisenaustraße Untersuchungsgebiete auszuweisen, sollten endlich Gelder fließen, damit mit der behutsamen Erneuerung begonnen werden könne.

»Welche Gründe gibt es für Politiker, die Probleme, die man kennt, nicht zu lösen«, fragt auch Sozialdemokrat Müller. Seine Hoffnung: Wolfgang Thierse. Im Kiez glaubt man derweil nicht mehr an Wunder. Die 3.000 Unterschriften, die man letztes Jahr gesammelt hat, sind ebenso versandet wie die Versprechungen der Landesregierung. »Eigentlich hilft nur noch«, meint Mirelle Burland vom Stadtteilausschuß 61 achselzuckend, »den Eigentümern das Leben schwerzumachen.« Aber auch sie kann nur das Beispiel einer Kita nennen, bei der diese Strategie Erfolg hatte. »Bei den Vertragsverhandlungen für Gewerberäume«, so Erika Romberg, »läuft eben vieles im Stillen. Wer gerade noch abschließt, bleibt ruhig, wer gekündigt wird, geht.« Vielleicht sollten sich die Kreuzberger GewerbemieterInnen ein Beispiel am Prenzlauer Berg nehmen. Dort haben sich die Betroffnen zu einem Verein (Zusammenhalt e.V.) zusammengeschlossen und mobilisieren vor allem die Öffentlichkeit für den Erhalt der Gewerbestruktur. Uwe Rada

Das Kreuzberger Bauamt ruft, um sich einen Überblick zu verschaffen, alle von Kündigung oder Mieterhöhungen betroffenen GewerbemieterInnen auf, sich im Bezirksamt, Yorckstraße 4, zu melden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen