Thelma & ZaSu

■ Sie sind weder dick noch doof und waren doch die Antwort auf Laurel & Hardy: Parallel zur Xenon-Reihe zeigt das fsk vier Kurzfilme des Komikerinnen-Duos Thelma Todd und ZaSu Pitts

Hal Roach, mit eigenem Studio und Serien wie »Die kleinen Strolche« oder dem Duo Laurel und Hardy der erfolgreichste Komödienproduzent im frühen Hollywood, schreckte vor Experimenten nie zurück. Obwohl die Slapstickcomedy immer eine Männerdomäne war, ersann er Anfang der Dreißiger ein weibliches Gegenduo zu seinen Zugpferden Laurel und Hardy. ZaSu Pitts und Thelma Todd wurden ein perfektes Pendant: city-girls in trouble.

ZaSu Pitts war bereits in den Silents ein Star. In Erich von Strohheims Melodramen »Greed« und »The wedding march« brillierte sie als Charakterdarstellerin, mühelos schaffte sie den Sprung von der Stummfilmdiva zur fahrigen Komödiantin.

Ihre ZaSu scheint in eine falsche Welt hineingeboren. Alles ist viel zu unübersichtlich für ihren Geschmack. In ihren großen Augen steht die ständige Frage, worauf sie sich wohl als nächstes einstellen muß. ZaSu agiert fast nie, sie reagiert — das löst allerdings meist ein Kette von fatalen Konsequenzen aus. Am liebsten würde sie mit einem soliden Ehemann in einer kleinen Wohnung sitzen, abgeschottet von den Widrigkeiten des Lebens. Leider hat sie weder Mann noch anständige Bleibe.

Ein Verhältnis zu ihrem Körper fehlt ihr völlig. Die Hände wedeln wild in der Gegend herum, die Haare sind irgendwie hingekämmt, die Kleider schlabbern wie an einem Kleiderbügel. Wenn man sie überredet, sich in eine ärmellose Abendrobe zu zwängen, läßt sie vorsichtshalber das Unterhemd an. Aufhebens um ihre Person vermeidet ZaSu wann immer möglich. Gerade wegen dieser linkisch-puritanischen Schüchternheit gerät sie immer wieder in die aberwitzigsten Situationen. Ein Restaurantbesuch mit ihrem gefräßigen Angebeteten endet in einer Fahrt auf dem Servierwagen. Und wenn sie mal alle Hemmungen über Bord wirft und sich von einer Freundin mit rotem Herzmund und gewagtem Fummel zum Taxigirl stylen läßt, taucht eine Delegation des Sittlichkeitsvereins auf, was sie natürlich nicht bemerkt.

Ehrgeiz ist für ZaSu ein Fremdwort, ganz im Gegensatz zu Thelma Todd. Sie verkörert den Prototyp des all american girls: blond und attraktiv, pfiffig und nicht auf den Mund gefallen. Männer umschwirren sie wie Motten das Licht. Trotzdem ist sie mehr das patente Mädel von nebenan als der geheimnisvolle Vamp. Beherzt nimmt sie die Dinge in die Hand. Sie ist der Motor im Zweiergespann. Karrierebewußt kämpft sie um ihren Platz in der Gesellschaft. Weil dazu nicht nur berufliche Talente gehören, läßt sie sich in »Let's do things« von einem Unbekannten zum Essen ausführen, nur weil er ein berühmter Arzt sein soll. Natürlich stapelt der Mann hoch. Die Tanztruppe des Restaurants humpelt, nachdem er sie behandelt hat, wie ein Versehrten-Ballett.

Thelmas Träume vom Aufstieg unterscheiden sich gewaltig von den Realitäten. Sie arbeitet als Notenverkäuferin, Revuegirl oder Reporterin. Aber was anfangs immer als hoffnungsvoller Beginn einer Karriere scheint, endet im Desaster. Auf der Suche nach einem gestohlenen seal, ergattern Thelma und ZaSu nach einer surrealen Jagd durch eine von freakigen Artisten bewohnte Pension einen Seehund. Anstatt ihr jedoch die erhoffte Titelgeschichte zu geben, feuert sie ihr eiligst herbeigerufener Zeitungsboss. Kein glitschiges Tier, sondern ein fürstliches Siegel (was auf englisch dasselbe Wort ist) sollte Gegenstand der Story sein.

Zwei Provinzmädchen schlagen sich durch im Großstadtdschungel. Thelma und ZaSu wohnen zusammen in einem schlichten Boarding- House und jobben von der Hand in den Mund. Fast alles, was sie auf Thelmas Initiative hin anpacken, ist eine Nummer zu groß für sie. Sie kennen weder die richtigen Leute, noch beherrschen sie die großstädtischen Verhaltenscodes. Deshalb landen sie am Ende immer wieder da, wo sie angefangen haben. Den Glauben an den american dream verlieren sie trotzdem nie.

Eine ausgeklügelte Bildersprache haben diese Kurzkomödien nicht. Sie sind ganz auf die Handlung konzentriert in wenigen Dekorationen abgefilmt, oftmals versetzt mit kurzen Tanz- und Revueszenen. In schnellem Tempo wird zwischen Wortwitz und Situationskomik hin- und hergesprungen. Damit kündigen sie einerseits die neue Zeit der screw- ball-comedies an, andererseits wirken die ausgeklügelten, atemlosen Slapstickkaskaden wie eine Summe der Tortenschlachtästhetik der Stummfilmära.

Insgesamt 17 Kurzfilme drehten Thelma und ZaSu von 1931-33 zusammen. Dann ersetzte Hal Roach ZaSu Pitts durch Patsy Kelly, mit der Thelma weitere 22 Abenteuer bestand. 1935 fand die Serie ein abruptes Ende. Thelma Todd wurde blutverschmiert und tot am Steuer ihres Kabrios in ihrer Garage entdeckt. Kohlenmonoxydvergiftung lautete die offizielle Todesursache. Ob es ein Unfall war oder Mord, blieb ungeklärt.

Kurz danach starb auch das gesamte Genre. Gegen die technischen Möglichkeiten der Zeichentrick- Konkurrenz von Mickey Mouse und Donald Duck kamen die menschlichen Slapstickfabrikanten nicht mehr an. Mit den nur zwei Rollen langen Kurzkomödien verschwand das letzte Überbleibsel aus Hollywoods stummen Goldjahren. Gert Hartmann

Vier Kurzfilme mit Thelma und ZaSu in einem Programm:

»Strictly unreliable«, »Asleep in the feet«, »Let's do things« und »Seal Skin« bis 2. September im FSK, Wiener Straße 20, Kreuzberg