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Das Kindheitstrauma einer Nation

■ Warum das Mammutprojekt „The Civil War“ zu einem Riesenerfolg wurde

Es brauchte einen Krieg, bis das US- Fernsehvolk entdeckte, daß es ein öffentliches TV-System besitzt. Mit der Ausstrahlung von „The Civil War“ erreichte das Public Broadcasting System (PBS) im September 1990 erstmals in seiner Geschichte so hohe Einschaltquoten wie die drei großen Networks ABC, CBS und NBC. PBS versammelte bis zu vierzehn Millionen ZuschauerInnen pro Abend vor den Schirmen, mindestens viermal so viele wie üblich. Fast vierzig Millionen AmerikanerInnen sahen alle Folgen der Mammutserie.

„The Civil War“ stimulierte am Vorabend des Golfkrieges nationale Gefühle. Es riß alte Wunden im Norden und im Süden wieder auf und entfachte Diskussionen unter den Historikern. Was war der wichtigste Kriegsgrund? Die Sklaverei oder die Ablösung des Südens von der Union? Manche sahen in Burns' Dokumentation viele schöne Schlachtpanoramen und vermißten soziale und ökonomische Fakten. Andere lobten den Filmer dafür, daß er das zeige, was so viele Spielfilme (und nicht nur sie) ignorierten: Die Rolle der Schwarzen, die von zuschauenden „Opfern“ zu Kämpfern in eigener Sache wurden. Was Söhne der Veteranen aus dem Süden als „entehrend“ und „beleidigend“ empfanden, lobten Zuschauer aus dem Norden als „neutral“.

Aber auch die starke Presse- und PR-Arbeit trug zur Straßenfeger- Qualität bei, wie Mary Schultz, Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit bei der verantwortlichen PBS-Station WETA in Washington D.C., einräumt. Zeitungen und Magazine hoben die Serie schon vor der Ausstrahlung auf ihre Titelseiten. Erstmals machte PBS auf den konkurrierenden Kanälen der Networks und der Kabelstationen landesweit Werbung für eine seiner Serien. Auch wurden die fünf Folgen des Projekts nicht wie üblich über Wochen verteilt gesendet, sondern an fünf Tagen hintereinander gezeigt. Ebenso unüblich war, daß sich die 250 Stationen, die PBS quer über den Kontinent ausstrahlen, sich darauf einigen konnten, „The Civil War“ simultan zu bringen.

Die Serie erntete jubelnde Kritiken: „Wenn das Medium Fernsehen jemals besser genutzt wurde als hier, dann habe ich das jedenfalls nicht gesehen“, schrieb der Kolumnist George Will. Talk-Show Saurier Johnny Carson lobte über den grünen Klee. Das Magazin Time schrieb, „daß seit ,Vom Winde verweht‘ keine massenmediale Aufarbeitung des Bürgerkriegs die Nation so betroffen gemacht hat“. Die Kollegen von People meinten, daß „Burns die Schlacht gewonnen hat“, und GQ bezeichnete die Doku-Serie ehrfurchtsvoll als „etwas, das bleibt“.

Filmer Ken Burns führt das enorme Echo darauf zurück, daß „der Bürgerkrieg das Ereignis ist, das uns und unsere Geschichte definiert“. Zu den bemerkenswerten Reaktionen gehören Hunderte von Telefonanrufen und Briefen an den Autor (und auch viele unangemeldete Besuche in seinem Haus in Walpole). Auch viele Tageszeitungen und Hauptsponsor General Motors wurden mit Briefen überschüttet. Ein Jahr später hatte sich das Buch zur Serie mehr als 700.000mal verkauft, es blieb für mehrere Monate auf der Bestsellerliste der New York Times — bemerkenswert für ein Buch, das immerhin 50 Dollar kostet.

Der Stabschef der US-Streitkräfte, Colin Powell, ließ auf Anfrage eines Soldaten 20 Cassetten- Sets ins Golfkriegsgebiet schicken. Ken Burns wurde ins Weiße Haus geladen, sein Heimatstaat New Hampshire benannte einen Feiertag nach ihm. Eine wahre Lawine von Preisen ging über der Serie nieder.

Ken Burns sieht eine Stärke der Serie auch darin, daß sie nicht durch Werbespots unterbrochen wurde. „Man kann Geschichte oder auch andere Dinge von Bedeutung nur rüberbringen, wenn man die Aufmerksamkeit der Zuschauer hat. Aufmerksamkeit ist nicht möglich, wenn sich alle sechs bis acht Minuten die Seifenverkäufer dazwischenschalten.“ Er betrachte die Historie wie die Lebensgeschichte eines Menschen. „Der Bürgerkrieg war unser traumatisches Kindheitserlebnis,“ sagt er. Bei seinem nächsten Streich ist die Pubertät der Nation dran: Für ein „episches“ Projekt über den amerikanischen Westen will PBS zwei Millionen Dollar aufwenden. Hans-Hermann Kotte

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