piwik no script img

Überflutete Keller im Wassernotstandsgebiet

Schwere Unwetter mit Millionenschäden in Südhessen ändern nichts am Wassernotstand/ Gutachten prognostiziert Trinkwasserkollaps im Rhein-Main-Gebiet/ In Frankfurt sind schon die Regentonnen ausverkauft  ■ Aus Frankfurt/M. Michael Blum

Der Regen kam pünktlich zum Wassernotstand — in den letzten Tagen fielen bei schweren Unwettern am Mittwoch und Donnerstag abend große Niederschlagsmengen. Hagelkörner und entwurzelte Bäume drückten Autodächer platt, Sturmböen deckten Häuser ab und jagten mit 160 Stundenkilometern durchs Rhein-Main-Gebiet, über Mittel- und Osthessen sowie Rheinland- Pfalz und das Saarland. Gerüste kippten um, Bahnverbindungen wurden unterbrochen, Keller überflutet. Litfaßsäulen begruben Luxuslimousinen, Parks sahen aus wie ein Schlachtfeld. In die Wälder wurden neue Orkanschneisen geschlagen, heftige Blitzeinschläge zündeten etliche Brände an. Der Tower vom Rhein-Main-Flughafen fing sich ebenfalls einen Blitz ein und quittierte für 20 Minuten den Dienst: 14 Flugzeuge mußten umgeleitet werden. Die Frankfurter Feuerwehr war im 20stündigen Ausnahmezustand.

Ironie der Wetterkapriolen: Der Wassersituation in Südhessen kann nichts Besseres passieren. Trotz der mit heißer Nadel gestrickten Notstandsverordnung ging der Wasserverbrauch in der vergangenen Woche kaum zurück. Ohne Regen wäre die Situation noch prekärer. Südhessen mit der wirtschaftsstarken Rhein-Main-Region steht vor dem Trinkwasserkollaps. Nach der vom Regierungspräsidenten, Wasserversorgern und Umweltministerium erarbeiteten „Wasserbilanz Rhein- Main 1990-2010“ fehlten 1990 in Südhessen neun Millionen Kubikmeter Grundwasser. Bei Zuzugsraten von bis zu 150.000 Menschen jährlich wird sich die Versorgungslage trotz Sparmaßnahmen verschlechtern. Umweltminister Fischer (Grüne) fordert deshalb einen verstärkten Einsatz von Brauchwasser und kommunale Wasserschutzprogramme. Die Industrie solle Wasserkreisläufe nachrüsten. Nach der Statistik der Frankfurter Stadtwerke verbrauchen die örtlichen Unternehmen 23,9 Milliarden Liter Trinkwasser: mindstens fünf zuviel. Durch den Einsatz von Brauchwasser allein ließen sich vier Milliarden Liter einsparen. Modellfunktion könnte hier die Hoechst AG haben, die 94 Prozent ihres Wasserbedarfs aus aufbereitetem Mainwasser deckt. Die klimatischen Veränderungen mit ihren dramatischen Auswirkungen auf die Grundwasserneubildung können laut „Wasserbilanz“ aber nicht allein durch Sparmaßnahmen — bis zum Jahr 2010 wird ein Defizit bis zu 80 Millionen Kubikmeter prognostiziert — aufgefangen werden. Die in ländlichen Gebieten mit Nitraten und Pflanzenschutzmitteln vergifteten Grundwasserbrunnen müssen saniert werden. Rund 17 Millionen Kubikmeter Trinkwasser sind derzeit ungenießbar. Zudem sollten weitere Rheinwasser-Versickerungsanlagen gebaut, neue Brunnen erschlossen und die Verbundnetze ausgebaut werden.

Nachbarn streiten sich in Südhessen derzeit beinhart: Da zeigen sich Häuslebauer schon mal gegenseitig an, wenn sie beim verbotenen Autowaschen oder Rasensprengen erwischt werden. Das bei Verstößen gegen die Wassernotstandsverordnung angedrohte Höchst-Bußgeld von 10.000 DM wird nach Einschätzung des Regierungspräsidiums Darmstadt (RP) dafür zwar nicht verhängt, mit einem dreistelligen Betrag sei aber zu rechnen — vorausgesetzt, daß RP bringt endlich einen entsprechenden Bußgeldkatalog auf den Weg. Andernorts klappt das Gentleman-Agreement besser: in den schicken Reihenhaus-Siedlungen des Frankfurter Umlands wird nächtlich trotz Verbot der englische Rasen gesprengt, Gartenpumpen laufen kreischend um die Wette.

Der verordnete Sparaufruf verhallt im Südhessischen oft ungehört oder wird als „Öko-Spielerei des grünen Umweltministeriums“ abgetan. Während CDU und FDP von absichtlichen Übertreibungen, Panikmache und Amtsmißbrauch sprechen, schert selbst Wiesbadens OB Achim Exner aus den vom Parteikollegen verordneten Wassersparmaßmen aus und verlangt für seine Kommune die Aufhebung der Verordnung. Der „Kampf um Sondergenehmigungen“ wird auch von der Frankfurter Sportdezernentin Schenk (SPD) tapfer geführt. Über 250 Ausnahmeanträge sind bereits eingegangen, von Sportclubs, aber auch von Waschanlagenbesitzern, die wegen fehlender Wasserkreisläufe eigentlich schließen müßten — der Bankrott wäre die Folge.

Der Testballon für weitere und umfassendere Wassernotstandsmaßnahmen zeigt aber bei vielen HessInnen auch Wirkung: Spülmaschinen bleiben ungefüllt, dem Kragenschmutz geht es manuell an den Dreck, die Seifenbrühe rauscht anschließend durchs Klo. In Offenbacher und Frankfurter Baumärkten sind Regentonnen knapp. Derweil bröckelt im Südhessischen weiter der Putz. Allein im Ried kam es durch die Grundwasserabsenkung zu rund 500 Setzrissen an Häusern, davon 220 im Heppenheimer Raum. Entschädigungsfragen sind ungeklärt. Im Ried ist der Grundwasserpegel in den vergangenen Jahren um 1,50 Meter gefallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen