piwik no script img

Afrika braucht in Zukunft neue Wege

Nach über zehn Jahren außengesteuerter Strukturanpassung ist Afrikas Krise größer denn je  ■ Von Dominic Johnson

„Wenn ich in die Hölle fahren muß“, drohte der somalische Diktator Siad Barre kurz vor seinem Sturz im Januar 1991 seinen Landsleuten, „nehme ich euch alle mit.“ Jetzt, wo Somalias Hauptstadt Mogadischu zum Inbegriff der Hölle geworden ist, zur Hauptstadt des Banditentums und des Hungers, wird leicht vergessen, daß nicht nur Somalia am Boden liegt.

Nicht nur Mogadischu braucht den Wiederaufbau. Von Luanda bis Monrovia, von Kinshasa bis Freetown — die Liste der afrikanischen Städte, die aussehen wie nach Jahren des Krieges, ist lang. Und während Somalia jetzt zum Objekt internationaler Hilfe wird, geraten diejenigen Länder, die „nur“ unter der schwersten Krise ihrer Geschichte leiden, weiter in Vergessenheit.

Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die schwarzafrikanische Auslandsschuld liegt bei über 150 Milliarden Dollar und ist damit höher als das schwarzafrikanische Bruttosozialprodukt. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf ist in Schwarzafrika seit 1980 jährlich um durchschnittlich 1,7 Prozent gesunken. Die Spitzenreiter des Niedergangs: Mosambik (jährlich minus 6 Prozent), Sao Tome (minus 5,7), Niger (minus 5). Wer 1980 über ein Jahreseinkommen von 1.000 Mark verfügte, bekommt also im afrikanischen Durchschnitt heute etwa 790 Mark; in Mosambik sind es um die 450.

Während die Kalorienversorgung der Bewohner Schwarzafrikas 1965 im Durchschnitt bei 92 Prozent des Bedarfs lag, waren es 1988 nur noch 89 — so die Vereinten Nationen. Im „Human Development Index“ der UNO, der die 160 Staaten der Welt nach Lebensqualität arrangiert, kommt das erste afrikanische Land auf Platz 48: das nicht gerade typische Mauritius. Unter den letzten dreißig Staaten sind nur fünf nicht aus Afrika. Selbst das als relativ stabil und entwicklungsträchtig geltende Senegal steht auf Platz 137 — gleichauf mit Kambodscha, und noch hinter Bangladesch.

Ökonomisches Blabla

Dies kann jedoch nicht vergessen machen, daß Afrikas Abhängigkeit von der Welt in den „verlorenen“ 80er Jahren weiter gewachsen ist. Während immer mehr hochqualifizierte Afrikaner auswandern — nach UNO-Angaben haben bereits ein Drittel der Fachkräfte den Kontinent verlassen — arbeiten mehr europäische Experten in Afrika als zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit. Immer mehr hat in der afrikanischen Politik und Wirtschaft zwar die Einsicht um sich gegriffen, daß Appelle an die Weltöffentlichkeit nichts mehr fruchten und der Kontinent sich auf seine eigenen Kräfte besinnen muß. Aber gleichzeitig herrscht auch die Gewißheit, daß die weltwirtschaftlichen Umstände dies nicht zulassen.

Für Salim Ahmed Salim, Generalsekretär der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU), machen „die fortschreitende Verschlechterung der zum Nachteil Afrikas operierenden terms of trade, der Zusammenbruch der Rohstoffpreise, die Verschuldung gegenüber dem Ausland, die negativen Ressourcentransfers und vor allem der offenkundige Unwillen, den Entwicklungsländern effektive und nachhaltige Hilfe zu gewähren“, eine „feindliche internationale Umwelt“ aus, die Afrikas „eigene Bemühungen“ zunichte machen. Babacar Ndiaye, Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, schätzt, daß eine „auch nur geringe“ Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens einen zusätzlichen Ressourcentransfer von außerhalb des Kontinentes in Höhe von jährlich über 60 Milliarden Dollar benötigen würde.

Daß dieser Ressourcentransfer in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Realistischer als Appelle an internationale Großzügigkeit oder auch Aufrufe zu einer Loslösung aus dem Weltmarkt wären daher Versuche, die bestehenden Abhängigkeiten zu produktiven Zielen zu nutzen.

Bisher nimmt die Außenwelt auf Afrika vor allem über Strukturanpassungsprogramme Einfluß. Reduzierung der Staatsausgaben mittels Streichung von Subventionen, Herstellung eines Handelsbilanzüberschusses, eine abgewertete Währung — all dies gilt als bewährtes Rezept zur ökonomischen Gesundung. Doch selbst Ghanas Präsident Jerry Rawlings, dessen Land als Modellfall des Erfolgs von Strukturanpassung gilt, nannte die Weltbank-Rezepte jetzt in einem Interview mit der Financial Times „ökonomisches Blabla“. Ein senegalesisches Sprichwort vergleicht die Strukturanpassung mit dem Versuch des Salzträgers, seinen löchrigen Sack durch einen Fluß zu tragen: Am anderen Ufer ist er erleichtert — aber nur, weil das Salz bei der Überquerung ins Wasser gerutscht ist.

Etwa zwei Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung Afrikas arbeitet auf dem Land. Eine Verbesserung ihrer Lebensqualität muß sich daher vor allem auf die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen stützen. Große Bevölkerungsschichten bestreiten ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus Verbrauch und Verkauf natürlicher Rohstoffe wie Früchte, Nüsse, Gemüse oder Brennstoffe.

Endlose Programme

Das westafrikanische Senegal nahm schon 1980 ein „Landwirtschaftliches Strukturanpassungsprogramm“ in Angriff. Nach dessen Scheitern wurde 1984 eine „Neue Landwirtschaftspolitik“ ausgerufen; 1986 folgte die Zielsetzung, bis zum Jahre 2020 eine 80prozentige Eigenversorgung in Nahrungsmitteln zu erreichen. 1985 bis Mitte 1992 lief ein erneutes Strukturanpassungsprogramm — mit immer gleichem Nenner: Die Förderung der Produktion von Reis und Mais, um die bisherige starke Abhängigkeit von Nahrungsmitteleinfuhren zu verringern. Dazu wurden großangelegte Bewässerungsprojekte am Senegal-Fluß in Angriff genommen.

Noch heute aber werden Senegals Städte hauptsächlich mit importiertem Reis ernährt; noch immer ist einheimisches Getreide um mehr als ein Drittel teurer, von einheimischem Reis ganz zu schweigen. Erhöhungen der niedrigen Importreispreise wurden aus politischen Gründen nicht vorgenommen. Maßnahmen, die einheimische Produktion durch Zuschüsse für Saatgut zu verbilligen, waren in der Strukturanpassung nicht vorgesehen — im Gegenteil wurden bestehende Subventionen teilweise abgebaut. Die von der Weltbank gewünschte Abkehr vom Prinzip, alles Land gehöre dem Staat und sei lediglich zu pachten, wurde nur sehr langsam in Angriff genommen; dadurch blieben senegalesische Bauern für senegalesische Banken wenig kreditwürdig und größere Privatinvestitionen blieben aus.

Doch sind die Probleme der senegalesischen Landwirtschaft nicht im nationalen Maßstab zu lösen, wie ein Blick auf die regionalen Handelsströme zeigt. Der Kleinstaat Gambia, vollständig innerhalb senegalesischen Territoriums gelegen, ist der wichtigste Handelsknotenpunkt der Region; hier treffen die ausländischen Lebensmittel ein und werden billig nach Senegal, Mali, Mauretanien, Guinea und Guinea-Bissau weiterexportiert. Hohe Transportkosten bewirken, daß der importierte Reis im nahen Senegal billiger ist als in den weiter entfernten Staaten. Dies fördert den Schmuggel aus Senegal; im Gegenzug wird das in Mali billiger produzierte Getreide nach Senegal geschmuggelt, was die lokale Produktion weiter schwächt.

Westafrikanische Agronomen fordern längst, daß die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank aus dem Länderrahmen heraustreten und regional integriert werden sollen. Dann, so beispielsweise der Senegalese Tom Amadou Seck, könnte auch die Verbesserung der regionalen Transportwege, eine regional einheitliche Ausbildungs- und Gesundheitspolitik für ländliche Gegenden und die Schaffung länderübergreifender Bauernorganisationen in die Wege geleitet werden.

Die in Afrika präsenten ausländischen Organisationen und Experten hätten bei solchen Zielen vor allem eine Aufgabe: Die Förderung des Dialogs zwischen gesellschaftlichen Akteuren in verschiedenen afrikanischen Staaten, um länderübergreifende Lösungen auch politisch realisierbar zu machen. Dies kostet mehr Geld, als in Afrika dafür vorhanden ist, jedoch weniger als gigantische Milliardenprogramme. Außerdem könnte es dazu beitragen, die jederzeit mögliche Verallgemeinerung der somalischen Hölle auf andere afrikanische Regionen abzuwenden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen