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Was ist los bei den Eskimos?

■ Arktis-Fernsehen als Freund und Helfer: Die erste TV-Station von und für Indianer in David Poiseys Dokumentation „Starting Fire With Gunpowder“

We don't want what CBS gives us. We don't have to let them use us through TV. Let's have our own rights to use TV. We want our way, not the white man's way.

In der medialen Berieselung aus einer ihnen fremden Welt sahen die Inuit-Indianer in Kanada eine Bedrohung ihrer Kultur. Widerstand regte sich gegen die Bilder, die ihnen in die arktische Kälte gesendet wurden. Auch wenn es vorher schon ein Inuit- Radio aus Grönland gab: Ein TV- Sender mußte her, der ihre Sprache sprechen sollte. Am 29.9. 1980 war es soweit: Die Inuit Broadcasting Corporation (IBC), die erste Fernsehstation von und für Indianer, wurde gegründet. Wenig später gab es drei Sendestationen in Kanada.

Die Inuits paßten sich sehr schnell an das neue Kommunikationssystem an. Die mündliche Überlieferung, die Tradition der „Oral History“, war das eigentliche Informationssystem der Ureinwohner des Landes. Das neue Medium Fernsehen, das ja auch eine Geschichten erzählendes sein kann, schien weder alt noch neu und wie gemacht für sie. Fernsehen dient ihnen nicht als bloße Unterhaltung: Für die Inuit scheint das Medium das ideale Mittel zu sein, um ihre Kultur zu konservieren und damit ihr Überleben zu sichern. Inzwischen gibt es in der Sprache der Inuit mehr Filme und Videos als geschriebene Bücher.

„This is not me this is my picture“, sagt eine Frau vor einem Monitor sitzend, in dem sie selbst — vor einem Monitor sitzend — abgebildet ist. So fängt der Dokumentarfilm „Starting Fire with Gunpowder“ („Mit Schießpulver ein Feuer entfachen“) von David Poisey über den Sender IBC an, der als einer der Beiträge der Reihe „Surviving Columbus“ auf dem „Münchner Filmfest“ zu sehen war. Die Szene ist nur eine der Metaphern für das Bewußtsein von Medien, das der junge Inuk-Regisseur in seinem Film reflektiert.

Fernsehen soll Sinn machen: Die Geschichten der Inuit sollen dazu dienen, Werte und Erfahrungen zu vermitteln. Deshalb gehen die Programm-Macher mit besonderer Verantwortung an ihre vier Stunden Sendezeit pro Woche — mehr Programm ist aus finanziellen Gründen nicht möglich — heran. Das schneller gesendet als gedacht wird, kann angesichts dieses knappen Zeitbudgets nicht passieren.

Das Programm, gezielt für eine Gruppe und deren Problematik gemacht, ist bei den Inuit eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Lebensumständen. Ein Programm, das auch Effekte erzielt: So löste eine Sendung über Gewalt in der Ehe aus, daß in mehreren Gemeinden Frauenhäuser zum Schutz für Frauen und Kinder eingerichtet wurden. Unter dem Motto „Having a baby is no disease“ ließ eine Sendung über die sanfte Geburt die Tradition aufleben, Kinder zu Hause zur Welt zu bringen. Mit einer Hausgeburt können sich Frauen eine oft wochenlange Reise in entfernte Hospitäler ersparen.

Mit ihrem Verständnis vom Fernsehen als Freund und Helfer haben die Programm-Macher auch die Figur eines Superhelden entwickelt, der die Werte der Eskimos an die Teenager weitergeben soll. Ähnlich seinem amerikanischen Bruder Superman fliegt Super Shanou in einem blauroten Kostüm durch die Polar- Lüfte. Stets auf der Suche nach Menschen in Not, hilft er Kindern und predigt ihnen Freundschaft.

Der Reiz des Inuit-Fernsehens liegt darin, daß Dinge beim Namen genannt werden — ohne durch vermeintliche „Ausgewogenheit“ verstümmelt worden zu sein. „Uns (den Inuit) erscheinen Ausgaben für Waffen sinnlos, man könnte das Geld für nützlichere Zwecke einsetzen.“ Ein Satz, der ohne weiteren Kommentar einem Bericht über Etatkürzungen der kanadischen Regierung als Erklärung der Denkweise der Inuit angefügt wird.

Eine Mutter in einem Interview über „White-Man-TV“: „Es gibt sehr viel Gewalt, ich mag nicht, wenn meine Kinder Horrorfilme anschauen oder Filme mit viel Geld, denn das weckt in ihnen falsche Hoffnungen, und ich möchte sie nicht falschen Hoffnungen aussetzen. (...) Doch ich glaube, es ist hilfreich für sie, über andere Kulturen zu lernen. Aber ich würde lieber mehr Inuit- Programm sehen. Für und von Inuit.“

„Wir haben gelernt, daß bei einer Revolution als erstes die Fernsehsender besetzt werden.“ Die Inuit sind sich der Sprengkraft des Mediums bewußt. „Starting Fire with Gunpowder“ ist nicht nur der Titel einer Dokumentation über die IBC, sondern auch eine Geschichte, die sich die Alten erzählen. Es heißt, daß die Inuit früher Sprengstoff statt zu zerstörerischen Zwecken zum Feuer anzünden benutzten. In dieser Tradition sieht sich die IBC und dreht den Zeiger der Manipulationsmaschine Fernsehen in eine andere Richtung. Vom passiven Empfänger haben sie sich zum aktiven Sender von Botschaften gewandelt. Sei es, um Geschichten zu überliefern, Traditionen zu bewahren, politisch wichtige Entscheidungen über ihre Leute zu übermitteln oder einfach in Fernsehspielen und Serien Themen anzusprechen, die für die Inuit relevant sind. Das Fernsehen gibt ihnen eine Stimme in einer Zeit, in der nur das übertragene Wort — sei es gedruckt oder versendet — Gewicht bekommt. Esther Gronenborn

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