: Der flimmernde Schweiß
1Plus proudly presents: „Rockpalast“ aus den Siebzigern ■ Von Thomas Winkler
Es war die Nacht vom 19. auf den 20.April 1980, vier Uhr morgens. Ich lag in meinem Bett, die Kopfhörer auf den Ohren und hörte, wie ein paar hundert Kilometer entfernt in Essen ZZ Top auf die Bühne kamen und mit „I Thank You“ begannen. In meinem Zimmer war es absolut dunkel, denn meine Eltern waren der Meinung, daß es einem Vierzehnjährigen nicht gut zu Gesicht stünde, sich bis ins Morgengrauen hinein vor dem Fernseher Schweinerock anzutun.
Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich vorher noch nie etwas von ZZ Top gehört, geschweige denn gesehen hatte. So war es ein mittlerer Schock für mich, als ich mich in das Zimmer meines selig schlafenden Bruders geschlichen hatte, dessen Fernseher anstellte und bemerken mußte, daß nur drei überaus bärtige Texaner benötigt werden, um einen Höllernlärm zu entfachen. Mit der Zeit relativieren sich natürlich solche Einschätzungen.
Kultische Verehrung in den Nächten
Dies war mein erstes Erlebnis mit den „Rockpalast“-Nächten, die fortan fast kultisch verehrt wurden. Die Termine wurden gerne für Partys genutzt, und alle fieberten wir, daß die von den Organisatoren Peter Rüchel und Christian Wagner und den Moderatoren Alan Bangs und Albrecht Metzger oft versprochenen Jam Sessions zustande kamen. Doch dies geschah selten. Immer regten wir uns über die gut abgehangene Zusammenstellung der Bands auf, und immer wieder waren wir dabei. Irgendwann Mitte der achtziger Jahre interessierten wir uns weniger für Rüchels Gigantomanie und seinen alles beherrschenden Wunsch, Bruce Springsteen in die Gruga-Halle nach Essen zu bringen, und vielen anderen ging es offensichtlich ebenso. Der „Rockpalast“ wurde halbwegs still zu Grabe getragen.
Begonnen hatte alles im Oktober 1974. Wagner und Rüchel, damals Redakteure des WDR-Jugendprogramms, konzeptionierten eine damals geradezu revolutionäre Idee. Rockmusik sollte im Fernsehen live stattfinden und am besten auch noch direkt übertragen werden. Natürlich konnten nur diese beiden, dem alten Hippie-Mythos von der größtmöglichen Spontanität der Rockmusik verpflichtet, so was ausbrüten und durchsetzen. Sie wollten den Schweiß auf der Bühne im Fernsehen flimmern sehen, und das schafften sie auch.
Mit dem Electric Light Orchestra fand eine erste Aufzeichnung — ohne Publikum — statt und wurde zwei Wochen später ausgestrahlt. Einen Sendeplatz fand man zuerst innerhalb der Sendung „Elf 1/2“. Im Weihnachtsprogramm des folgenden Jahres durften sie für WDR, NDR, RB, SFB und HR dann jeden Tag eine halbe Stunde Programm machen. Wegen des Erfolges wurde für 1976 eine monatliche Musiksendung mit dem Live-Konzept avisiert— der „Rockpalast“ war geboren.
Außergewöhnlich war, daß pro Sendung nur eine Gruppe live auftrat, was den üblichen auf die Hitparaden abzielenden Musiksendungen mit möglichst vielen Acts, die ihre aktuellen Singles zum Playback vortrugen, völlig entgegengesetzt war. Meistens wurden die Konzerte im Studio gefilmt, manchmal begab sich das Team auch zu einem normalen Tournee-Gig.
Doch schon im ersten Jahr des offiziellen Bestehens wurde das größte Dilemma des „Rockpalastes“ offensichtlich: 1976, im Geburtsjahr des Punk, spielten Bands wie Procul Harum oder Wishbone Ash, während es bis zum 15.6. 1978 dauern sollte, bis mit Elvis Costello der erste Act der neuen Zeitrechnung den Weg auf die öffentlich-rechtlich verrockte Mattscheibe fand.
Vorher hatte man sich bestenfalls an die ältere Garde englischer Pub- Rocker, die Vorläufer des Punks, gewagt und Ian Dury und Graham Parker die Ehre gegeben. Noch am 19.2. 79 spielten The Pirates, ebenfalls britische Pub-Rocker. Zwei Wochen zuvor war Sid Vicious an einer Überdosis gestorben.
Dies änderte sich für mehr als zehn Jahre nicht. Auch nicht, als am 23.Juli 1977 das erste Festival, die erste lange Nacht mit Rory Gallagher, Roger McGuinn und Little Feat die Gruga-Halle erzittern ließ.
Punk sollte im „Rockpalast“ nie stattfinden, nur hin und wieder mal ein verlorener New-Wave-Act. Modernität oder musikalischer Wagemut war im „Rockpalast“ nicht vorgesehen, gut Abgelagertes dagegen gefragt, von einigen Ausnahmen wie dem phänomenalen Auftritt der Undertones 1983 einmal abgesehen.
Nichtsdestotrotz war ein Großteil der schätzungsweise 300 Bands, die im Rahmen der Reihe aufgezeichnet wurden, gut, und so lohnt sich auch ein Rückblick, der für den einen oder anderen auch eine Rückschau auf die eigene Jugend ist.
1 Plus wird neun Sendungen aus den Jahren 76 und 77 im Wochenrhythmus jeweils Donnerstags um 17.15 Uhr wiederholen. Heute beginnt die Reihe mit Rainbow. Auch hier hat sich die Programmdirektion nicht gerade überschlagen. Ausgewählt wurde, was man heute noch kennt und was man lieber vergessen hätte: Ted Nugent, Wishbone Ash oder Frankie Miller. Im gleichen Sendezeitraum werden im Rahmen von „Rocklife“ aufgezeichnete Konzerte neueren Datums verbraten. Jeweils dienstags zur gleichen Zeit dürfen Dave Stewart, Bob Geldof oder Katrina and The Waves das alte „Rockpalast“-Feeling zu leicht moderneren Klängen wiederaufführen.
Doch auch hier ist ein gewisser Restaurationswillen unverkennbar. Huey Lewis oder Nils Lofgren waren auch schon früher gern gesehene Gäste bei Rüchel und Wagner und sind der letzte Schrei gewiß nicht mehr.
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