: Serbien: „Die Hauptursache des Übels“
■ Bei der Londoner Friedenskonferenz soll Serbien an den Pranger gestellt werden
London/Sarajevo/Berlin (dpa/ AFP/taz) — Der englische Premierminister John Major hatte sich zu einer dramatischen Eröffnung der Londoner Friedenskonferenz entschlossen: „In diesem Raum sitzen die Leute, die diesen Krieg und das Blutvergießen beenden können. Ich glaube nicht, daß die Weltmeinung irgend jemandem vergeben kann, der diese Arbeit behindert.“
Wie gering die Chancen dieser bisher größten Jugoslawienkonferenz — rund 400 Delegierte aus 37 Staaten und internationaler Organisationen nehmen an ihr teil — jedoch wirklich sind, wurde bereits in ihren ersten Stunden deutlich. Nachdem Radovan Karadzic, der Führer der bosnischen Serben, wie angekündigt nur als Beobachter, nicht aber als Teilnehmer des dreitägigen Treffens zugelassen worden war, verließ er es medienwirksam für wenige Stunden. Noch am Mittwoch morgen hatte Karadzic dagegen erneut versucht, seine Kompromißbereitschaft hervorzuheben. In einem BBC-Interview stellte er fest, daß die bosnischen Serben „möglicherweise 10 bis 15 Prozent“ des von ihnen besetzten Territoriums in Bosnien zurückgeben würden. Gleichzeitig hatte er jedoch bekräftigt, daß Bosnien „als Staat nicht mehr existiere“.
Schon die ersten Reden der Konferenz machten deutlich, daß in London zuerst einmal Druck auf die Serben ausgeübt werden soll. Nachdem bereits Major härtere Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien gefordert hatte, stellte der bundesdeutsche Außenminister Kinkel fest, daß sich Serbien an einer Wegscheide befinde: „Der eine Weg führt zurück in die Staatengemeinschaft, zurück zu Frieden und Prosperität. Der andere Weg führt in die Selbstisolation und Verarmung.“ Keinen Zweifel ließ Kinkel auch daran, daß die „Hauptursache des Übels“ in Belgrad liege. „Dort hat man den selbstverschuldeten Zerfall des alten Jugoslawien mit einem rücksichtslosen Krieg für ein ethnisch möglichst reines Großserbien beantwortet.“ Der Außenminister forderte eine bessere Überwachung der Sanktionen gegen Serbien, die sofortige Auflösung der Internierungslager und den Ausschluß Serbien-Montenegros als Rechtsnachfolger des ehemaligen Jugoslawien aus der Staatengemeinschaft.
Ganz so eindeutig war die Verurteilung der Serben jedoch nicht in jeder Rede. So hatte UNO-Generalsekretär Ghali nicht nur weitere Sanktionen abgelehnt, sondern damit zugleich auch seine neue „Taktik“ beschrieben: „Ich denke, das Zuckerbrot ist wichtiger als die Peitsche. Wir wollen zum Dialog ermutigen.“ Und auch Major hatte darauf hingewiesen, daß sich derzeit keine der drei Kriegsparteien an die wichtigsten Grundsätze der Konferenz halten würde: Grenzen dürften nicht durch Gewalt verändert werden, Minderheiten müßten innerhalb fester Grenzen geschützt werden.
Eine Anerkennung der „Londoner Grundsätze“ kündigte erneut der jugoslawische Regierungschef Panic an: Sein Land verurteile alle gewaltsamen Grenzveränderungen, die sogenannten ethnischen Säuberungen und die Mißhandlung von Gefangenen und Flüchtlingen.
Für den Fall eines Scheiterns der Londoner Konferenz scheint die Nato — nach einem Bericht der Passauer Neuen Presse — entgegen bisheriger Beteuerungen einen militärischen Schlag gegen Serbien „ernsthaft in Erwägung“ zu ziehen. Geplant seien vor allem die Zerstörung der serbischen Militärflughäfen sowie die Rüstungsindustrie in Banja Luka. Verwendet werden sollen vor allem Luft-Boden-Raketen, im günstigsten Fall könnten so innerhalb von 48 Stunden alle schweren Waffen ausgeschaltet werden.
Den Beginn der Londoner Konferenz haben die Kriegsparteien in Bosnien zum Anlaß genommen, ihre Kämpfe noch einmal auszuweiten. Ein dichter Granatenhagel ließ weite Teile der Innenstadt in Flammen aufgehen, der kroatische Rundfunk berichtete von Straßenkämpfen. Dabei sind innerhalb der letzten 24 Stunden sieben Journalisten verletzt worden, von Raketen zerstört wurde das Gebäude der Zeitung Oslobondenje.
Der jugoslawische Ministerpräsident Milan Panic hat den stellvertretenden Innenminister Mihalj Kertes entlassen. Als Grund wurde angegeben, daß Kertes sich geweigert habe, den Kampf der jugoslawischen Regierung gegen die „ethnische Säuberung“ zu unterstützen. her
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