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Hessische Landkreise verweigern die Aufnahme von Asylbewerbern

■ Von Rostock nach Gelnhausen * Nicht nur in der Hansestadt machen Bürger und Politiker gegen Ausländer mobil. Auch in Hessen (und anderswo) stehen Asylbewerber am Pranger...

Von Rostock nach Gelnhausen Nicht nur in der Hansestadt machen Bürger und Politiker gegen Ausländer mobil. Auch in Hessen (und anderswo) stehen Asylbewerber am Pranger. Daß Rassismus sich ökonomisch äußerst kontraproduktiv auswirkt, ist den Ausländerfeinden noch nicht aufgegangen.

Rostock im Westen ist das osthessische Gelnhausen (noch) nicht. Doch in der Barbarossa-Stadt kocht spätestens seit dem vergangenen Wochenende die Volksseele über. Wie ein Lauffeuer hatte sich in der Kleinstadt die Nachricht verbreitet, daß am Sonntag einer der knapp 1.000 Asylbewerber aus der zur Sammelunterkunft umfunktionierten Coleman-Kaserne einen Rentner überfallen hatte. In der Nacht zum Montag war es dann in der Sammelunterkunft zu einer Massenschlägerei zwischen marokkanischen und pakistanischen Flüchtlingen gekommen, die von der Polizei beendet werden mußte.

Als sich der sozialdemokratische Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Karl Eyerkaufer, zu Wochenbeginn über die Zustände in der Sammelunterkunft vor Ort informieren wollte, wurde er vor den Toren der Kaserne von einer wütenden Menschenmenge empfangen. Ein aufgebrachter deutscher Bürger spuckte dem Sozialdemokraten ins Gesicht. „Polizeischutz vor den Asylanten“ verlangten die deutschen Anwohner. Inzwischen hat der hessische Innenminister Herbert Günther (SPD) reagiert. Seit Dienstag wird die Sammelunterkunft rund um die Uhr von Polizisten bewacht. Eingereiht in die Front der Landräte und Bürgermeister in Hessen, die sich seit Monaten weigern, ihre vom Innenministerium vorgegebenen Aufnahmequoten zu erfüllen, hat sich auch der sozialdemokratische Landrat Eyerkaufer. Am vergangenen Dienstag ließ er demonstrativ einen Bus mit AsylbewerberInnen aus der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft (HGU) in Schwalbach am Ortsrand von Gelnhausen stoppen. Doch der zuständige Regierungspräsident sorgte dafür, daß die rund 50 Flüchtlinge doch noch in der Sammelunterkunft aufgenommen wurden. Zuvor hatte der christdemokratische Bürgermeister von Gelnhausen, Jürgen Michaelis, eine „Hilferuf“ an den Bundeskanzler gerichtet und in Bonn — so Rupert von Plottnitz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im hessischen Landtag — den Eindruck erweckt, daß „die größte Not in Europa gegenwärtig nicht in Sarajevo, sondern in Gelnhausen“ herrsche. Michaelis hatte in seinem Telegramm an Kohl erklärt, „daß die gewachsene Struktur in Gelnhausen unterzugehen droht“: „Unsere Kleinstadt wird mit Asylbewerbern geradezu überschwemmt.“ Landrat Eyerkaufer hatte vor der Ausbreitung von Seuchen wie „Cholera oder Typhus“ im Sammellager gewarnt. Außerdem richtete Eyerkaufer schwere Vorwürfe gegen die rot- grüne Landesregierung und forderte die Entlassung der Staatssekretärin im Sozialministerium, Brigitte Sellach (Die Grünen). Sellach, so der Landrat, trage die Verantwortung dafür, daß statt der vorgesehenen 500 AsylbewerberInnen inzwischen die doppelte Anzahl von Flüchtlingen in der Coleman-Kaserne untergebracht worden sei — „und ein einziger Koch stellt die Versorgung von über 1.000 Menschen sicher“.

Daß „der Notstand herrscht“, konstatiert auch die Sprecherin von Sozialministerin Iris Blaul (Die Grünen), Barbara Bußfeld. Ganze Landkreise, wie etwa Main-Taunus oder Marburg- Biedenkopf, und diverse Kommunen weigerten sich, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Quoten zu erfüllen. Und deshalb — „und wegen dem gewaltigen Bearbeitungsstau in Zirndorf“ — seien die Erstaufnahmelager überfüllt. In Sachen Gelnhausen warf Bußfeld den verantwortlichen Kommunalpolitikern vor, die Menschen dort nicht rechtzeitig auf die Aufnahme der Flüchtlinge vorbereitet zu haben. Im Gegenteil, gerade im Main-Kinzig- Kreis sei von Politikern mit markigen Worten gegen AsylbewerberInnen „gezündelt“ worden — „und jetzt geht die Saat auf“.

Ein gefundenes Fressen auch für die „Republikaner“, die in Gelnhausen zu den hessischen Kommunalwahlen im März 1993 antreten wollen. Sie kochten bereits ihr braunes Süppchen mit der „Würze“ Volkszorn. „Gelnhausen — eine Stadt in Not! Asylantenplage ohne Ende“ stand auf ihren Flugblättern.

Einen dringenden Appell richtete der Fraktionschef der Grünen, von Plottnitz, an seinen Kollegen Lothar Klemm (SPD), der auch Kreistagsvorsitzender des Main-Kinzig- Kreises ist. Klemm möchte doch bitte „zur Besänftigung der offenbar außer Kontrolle geratenen Gemüter des Gelnhausener Bürgermeisters und des sozialdemokratischen Landrates“ initiativ werden.

Der Erste Beigeordnete des Landkreises Main-Kinzig, Erich Pipa (SPD), läßt inzwischen prüfen, ob die Coleman-Kaserne in Gelnhausen „wegen hygienischer Mißstände“ und wegen „brandschutztechnischer Mängel“ vielleicht mit einem Nutzungsverbot ausgestattet werden kann. Pipa kann mit dem Beifall der kommunalwahlberechtigten BürgerInnen rechnen — und mit einem Extra-Toast an den Stammtischen. Klaus-Peter Klingelschmitt, Gelnhausen

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