125 Südseemänner in Mitte

■ Bremische Schwimmkolonien verfälschen Statistik weg. mobilem Staatsgebiet

Heike Blank rieb sich erstaunt die Augen. Die Mitarbeiterin im Ortsamt Mitte hatte den Auftrag erhalten, die Sozialdaten des Stadtteils zusammenzutragen, und nun das: 125 alleinstehende Männer aus Kiribati wohnen im Stadtteil Mitte. Wie bitte? Wer oder was ist Kiribati? Wieso sind die alle alleinstehend, und wo wohnen die bloß? Und wieso alle in Mitte?

Schlag nach bei Diercke: Kiribati — Sonne, Palmen, Südsee —das war schnell rauszukriegen, liegt bei Papua-Neuguinea nebenan, nördlich von Tonga, wo der dicke König wohnt. Einen dicken König gibt's auf den vielen Kiribati-Inseln aber nicht, Kiribati ist Republik. Aber was muß da unter Palmen passiert sein, daß sich so viele Männer auf den Weg ins ferne Bremen gemacht haben? 71.100 EinwohnerInnen hat die Inselrepublik, 125, das sind immerhin 0,2 Prozent, und alle nicht in Walle, nicht im schönen Hemelingen, sondern mittenmang, rund um den Roland. Kiribatimäßig melden die anderen Stadtteile Fehlanzeige. Hucky Heck: „Das fanden wir doch sehr verblüffend“, obwohl die sehr hohe Luftfeuchtigkeit in Kiribati doch ganz gut zu Bremen paßt. Zufall, Berechnung? Ein erster Verdacht keimt auf, denn, so der Atlas: Das übliche Verkehrmittel ist das Fahrrad. Wahrscheinlich hat die wer eingeflogen, nur um die TED-Abstimmung zu fälschen. Heck bestreitet entschieden.

Wenn man nicht mehr weiter weiß, hilft doch immer das kleine rote Behördentelefonbuch. Rückfrage beim statistischen Landesamt: ja, öh, nein, kein Übertragungsfehler, wir forschen nach. Die Daten kämen von der Meldebehörde, und die schwört Stein und Bein: 125 Mann, alleinstehend, Kiribati. Vielleicht das Ausländeramt: Woher sollen die kommen? Da fällt uns nichts zu ein. Und so forschen gewissenhafte Bremer Beamte nach den Männern, verschollen im Bermudadreieck Ausländeramt, Statistik und Meldestelle.

Und nach einer Woche kam aus der Verwaltung zündende Idee. Des Rätsels Lösung: Es gibt mobiles Bremer Staatsgebiet. Bremen ist überall, und zwar an Bord der Schiffe Bremer Reedereien, die unter deutscher Flagge fahren.

1 Reeder — 125 Mann 89 Reeder — wieviele?

Die Beschäftigten werden ordentlich deutsch angemeldet, und weil ein Reeder aus Bremen-Mitte 125 Mann aus Kiribati beschäftigt, sind zwar alle im Stadtteil angemeldet, aber anwesend sind sie deshalb noch lange nicht.

Alles klar, also. Alles klar? In Bremen-Mitte gibt es nach Angaben der Bremer Statistiker die stattliche Zahl von 89 Reedereien. Längst nicht alle haben eigene Schiffe, und schon gar nicht fahren alle „Bremer“ Schiffe unter deutscher Flagge. Preisfragen: Wieviele der gemeldeten Ausländer sind eigentlich da? Und wieviele liegen vor Madagaskar? Ist Hucky Heck für die Verkehrsberuhigung auf schwimmfähigem Zentralbremer Gebiet zuständig? Heike Blank wird schwitzen müssen. Leider nicht unter Palmen. Jochen Grabler