Spätes Glück: Mutter im Großmutteralter

Die In-vitro-Befruchtung kennt keine Altersgrenzen: In Italien hat Anfang August eine 61jährige Frau einen Sohn entbunden/ US-amerikanische Frauen verkaufen ihre Eizellen für 2.500 Dollar/ Die meisten Retortenversuche bleiben erfolglos  ■ Von Barbara Sastra

Mit 61 Jahren ist die Italienerin Liliana Cantadori endlich Mutter geworden. Anfang August hat sie durch einen Kaiserschnitt ihren Sohn Andrea zur Welt gebracht. Zur Gnade der späten Geburt verhalf ihr Professor Carlo Flamigni, ein Reproduktionsmediziner aus Bologna. Wie die italienische Wochenzeitschrift Epoca vom 8.Juli 1992 berichtet, soll sich Cantadori die Aufnahme in das „Reproduktionsprogramm“ des Gynäkologen Flamigni „mit Hilfe einer Lüge“ erschlichen haben. Nachdem ihre jahrelangen Behandlungen bei „Dutzenden von Ärzten“ in Rom, Mailand, der Schweiz und Schweden ohne Erfolg blieben, habe sie sich als „45jährige“ an Flamigni gewandt. Als sie dann endlich schwanger wurde — drei Jahre hat er experimentiert — habe sie dem Arzt ihr wahres Alter eröffnet. Damit hat Cantadori den „Altersrekord“ der Griechin Anna Halak, die im Dezember 1991 mit 54 Jahren nach 22 In- vitro-Fertilisations-Versuchen Mutter wurde, gebrochen.

In einem Exklusivbericht stellt die italienische Illustrierte Oggi am 17.August 1992 das greise Elternpaar vor. „Endlich hat mein Leben einen Sinn“, freut sich die Mutter im Großmutteralter. Wie die Schwangerschaft zustande gekommen ist, bleibt den LeserInnen ein Geheimnis. Das Verschweigen der Hintergründe dieser spektakulären Schwangerschaft hängt mit einer Veröffentlichung in Epoca vom 29.April dieses Jahres zusammen: Der Gynäkologe Raffaele Magli aus Neapel, der schon mehr als 40 Frauen zu einem Kind nach den Wechseljahren verholfen haben will, kündigte an, daß Anfang August seine 62jährige Patientin Concetta Ditessa einen Sohn gebären werde.

Noch in einem weiteren Fall rühmte sich Magli der technischen Erzeugerschaft: Eine 61jährige Römerin wollte den Tod ihres 40jährigen Sohnes „wiedergutmachen“. Sie ließ sich mit den Eizellen der Schwester ihrer Schwiegertochter und dem Sperma ihres Ehemannes befruchten. Ihre Schwiegertochter, die Witwe des Verstorbenen, die selbst wegen Unfruchtbarkeit nicht zu dieser Schwangerschaft im Bauteilverfahren beitragen konnte, wollte das Kind aufziehen. Die 61jährige Leihmutter sollte sogar schon im Mai einen Sohn entbinden.

Aber die Öffentlichkeit reagierte auf den „Höhepunkt meiner wissenschaftlichen Karriere“, so Magli, anders als erwartet und warf dem „skrupellosen“ Gynäkologen vor, „eine Schwangerschaft wie einen industriellen Fließbandprozeß“ zu behandeln. Epoca forderte weiter: „Stoppt diesen Arzt.“ Maglis Heldentaten lösten weltweit heftige Diskussionen darüber aus, ob alles, was heute technisch machbar, auch gesellschaftlich erwünscht ist. Was bedeutet es für ein Kind, bis zu fünf „Elternteile“ zu haben und wenn der Altersunterschied zu seiner Mutter mehr als 60 Jahre beträgt.

Nach scharfer Kritik von Kirche und Politikern an diesen „unethischen und geltungssüchtigen“ Praktiken und nachdem sich auch sein Berufsstand von ihm distanzierte, ist es still um Magli und seine angekündigten Mutterschaften geworden. Weder Concetta Ditessa noch die 61jährige Römerin sind bisher öffentlich aufgetaucht. Und Magli schweigt. Waren seine „Fälle“ nur eine Erfindung? Oder gab es Komplikationen in den beiden Schwangerschaften? Entsprach die Qualität des „Produkts“ Kind nicht den präsentationsgerichteten Erwartungen? Schließlich betont Cantadori in Oggi, sie habe für die Geburt ihres Sohnes ihr „Leben riskiert“.

Unterdessen berichten Wissenschaftler weiterhin regelmäßig über „Fortschritte an der Fruchtbarkeitsfront“ (Time Magazin vom 5. November 1990) und liefern damit die „technischen Produktionsdaten“ für die Schwangerschaften aus dem Labor. Voraussetzung für die Mutterschaft nach der Menopause ist die 1983 in Australien zum ersten Mal praktizierte „Eispende“, denn eigene Eizellen reifen im weiblichen Körper nur bis zu den Wechseljahren. Für dieses Verfahren muß sich eine junge Eizellenspenderin wochenlang Hormonbehandlungen, der sogenannten „Hyperstimulation“, unterziehen, damit mehrere Eizellen in einem Menstruationszyklus zur „Superovulation“ heranwachsen. Diese Eizellen werden der Frau dann in einer chirurgischen Operation entnommen. Die „geernteten“ Eizellen, so der Medizinerjargon, werden „in vitro“, also im Reagenzglas, mit Sperma befruchtet und dann der „Empfängerin“ eingesetzt. Zwischen „Eiernte“ und „Embryotransfer“ können noch weitere technische Verfahren, wie „Qualitätskontrolle“ der Embryonen auf „genetische Defekte“ oder Geschlechtsbestimmung, liegen. Auch die „Empfängerin“ wird fortlaufend mit hohen Hormongaben behandelt, um ihre Gebärmutter zu zwingen, die Embryonen aus dem Reagenzglas aufzunehmen und zu ernähren.

Die Nebenwirkungen der Behandlung mit synthetischen „Hormoncocktails“ sind dokumentiert: Eierstockzysten, Entzündungen bis hin zum Ovarialkrebs. Die Langzeitschäden für Frauen und die im Labor gezeugten Kinder sind ungeklärt. Selbst wenn sich die Eizelle überhaupt einnistet, endet jede dritte künstlich erzeugte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt. Höchstens jede zehnte Frau wird nach den langwierigen, schmerzhaften und teuren In- vitro-Prozeduren schließlich Mutter— in der Regel durch Kaiserschnitt, oft mit Frühgeburt oder Mehrlingsschwangerschaft. Weltweit sind inzwischen 40.000 Retortenkinder geboren worden, aber über eine Million Frauen haben sich erfolglos in die Hände von In-vitro-Experten begeben. In Italien, Österreich und Holland werden angeblich nur „von Freundinnen gespendete“ Eizellen oder aus anderen In-vitro- Behandlungen „überschüssige“ Embryonen übertragen. Ob Liliana Cantadori die Eizelle für ihr Retortenbaby gekauft oder „geschenkt“ bekommen hat, ist nicht bekannt. In der Bundesrepublik ist die „Eispende“ verboten. Dagegen boomt das Geschäft mit den Eizellen in den USA: Für 2.500 Dollar verkaufen Frauen ihre Eizellen als „Dienstleistung“. Sie müssen aber vorher einen rigiden Persönlichkeits- und Gesundheitstest über sich ergehen lassen. Für die „Eispende“ riskieren die Frauen nicht nur unbekannte Langzeitschäden, sondern auch die Gefahr späterer Unfruchtbarkeit und verfrühter Menopause. 400 Kinder sollen in den USA durch Eispende bisher gezeugt worden sein. Auch in Italien, das traditionell dem Mutterkult huldigt, ist die In-vitro-Befruchtung längst zum lukrativen Geschäft und zur Profilierungschance für junge Gynäkologen geworden: In etwa 80 „Reproduktionszentren“ wird ohne jegliche öffentliche Kontrolle befruchtet. Lediglich erfolgreiche Versuche werden der Allgemeinheit auf Hochglanzpapier präsentiert: eine strahlende Mutter mit Kind an der Seite des Gynäkologen. Solche Bilder tragen zur Illusion bei, daß ein Kind in jedem Alter und um jeden Preis technisch machbar ist. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Kinder geboren und aufgezogen werden, finden kaum Beachtung: Italien hat die niedrigste Geburtenrate Europas.