: Im Zentrallager verwelkt der Salat
■ Moskaus Groß- und Einzelhandel bekommt die Versorgungsprobleme nicht in den Griff/ Ein deutsch-russisches Projekt will dafür sorgen, daß sich die Lebensmittelläden wieder mit Waren füllen
Moskau/Berlin (taz) — Privatisierung — so ein Glaubenssatz der Bundesregierung — ist der schnellste Weg zur Sanierung maroder osteuropäischer Staatswirtschaften. Nach dieser Überzeugung handelt in der ehemaligen DDR die Treuhandanstalt. Deren Schnellprivatisierer aus dem Einzelhandelsbereich, die in neun Monaten sämtliche staatlichen HO-Läden in die Marktwirtschaft schubsten, arbeiten heute im Auftrag der Treuhand-Osteuropa-Beratungsgesellschaft (TOB) in Moskau. Doch während die russische Regierung zumindest öffentlich auf eine schnelle Privatisierung drängt, sind die früheren Treuhandmanager, die heute in der Beratungsgesellschaft btp GmbH arbeiten, vom Glauben abgefallen. „Mir ist ein staatliches Monopol immer noch lieber als ein privates“, sagt btp-Geschäftsführer Hans Schenk. Staatliche Monopole seien „wenigstens irgendwie sozialverpflichtet“, was man von privaten Monopolen nicht sagen könne.
Die Monopole aufzulösen und mehr Wettbewerb zu schaffen, sieht Schenk als vordringliches Ziel — neben einer schnellen Verbesserung der Warenverteilung. Um nicht in den Ruch von Besserwessis zu geraten, überlassen die Deutschen alle Entscheidungen ihren russischen Partnern aus dem Obersten Sowjet, mit denen sie in der Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaftsreformen (GFW) zusammenarbeiten. Das erste GFW-Projekt ist begrenzt auf jene 39 Landkreise und 23 Städte, die zum Moskauer Gebiet gehören. Die sieben bis neun Millionen Einwohner sollen möglichst bald ein größeres Warenangebot zu fairen Preisen in den Läden vorfinden.
Das erhöht die Akzeptanz marktwirtschaftlicher Reformen in Rußland und senkt die Zahl der Auswanderungswilligen, die nach Deutschland wollen, so das Kalkül im Bundesfinanzministerium, das deshalb die Devisenkosten des Projekts trägt.
Doch der Weg zu diesem Ziel ist mühsam, mußte Schenks Assistent Thomas Krupke schon bei der Bestandsaufnahme erkennen. Verläßliche Zahlen gibt es nicht. Sogar die Einwohnerzahlen klafften bei verschiedenen Verwaltungsstellen desselben Ortes um mehr als 100 Prozent auseinander. Zudem sind die Städte und Kreise bislang ausschließlich auf Moskau orientiert gewesen, was häufig zu absurden Situationen führt. — Der Chef der Torg-Behörde (regionale Warenverteilungsorganisation) Kaliningrads beispielsweise, suchte verzweifelt nach Ware für die Läden in seiner Stadt, während sein Kollege in der Nachbarstadt Puschkino, nur 20 Kilometer entfernt, nicht mehr wußte, wie er seine Lebensmittel vor deren Verderb verkaufen sollte. Aber auch nachdem sich die beiden Torg-Behördenleiter kennengelernt hatten, landete die Ware aus Puschkino nicht in den leeren Läden von Kaliningrad. Der Torg-Chef in Puschkino wollte das Geld für die Waren sofort, womit sein Kollege nicht dienen konnte. Kommissionshandel, wie im Westen üblich, gibt es in Rußland kaum. Verkauft wird nach dem Grundsatz: erst das Geld, dann die Ware.
Außerdem wird die gesamte Produktion zunächst an den Moskauer Großhandel geliefert — auch jenes Gemüse, das letztlich in die Läden der Nachbarstadt kommen soll. Auf den unnötigen Transportwegen in die Moskauer Zentrallager welkt dann der Salat, und die Milch wird sauer. Brot allerdings wird vor Ort hergestellt. In jedem Kreis gibt es eine Großbäckerei, die aber meistens nur Weißbrot herstellt. Im Grunde, sagt Thomas Krupke, müsse man erst eine zweite Brotfabrik bauen, die Schwarzbrot backt, und am besten noch eine dritte für Rosinenstuten, damit alle drei dann schließlich in den Wettbewerb treten könnten.
Das größte Hindernis auf dem Weg zur Marktwirtschaft sind jedoch für Krupke die bestehenden Gesetze. Eine Ware für 100 Mark einzukaufen und für 120 Mark weiterzuverkaufen, gilt bereits als Wucher und ist verboten. Und während Joint- venture-Betriebe mit westlicher Beteiligung immerhin langfristige Pachtverträge für Grundstücke abschließen dürfen, ist es für RussInnen nach wie vor unmöglich, bei Übernahme eines Ladengeschäfts das Grundstück als Eigentum zu bekommen — was eine gute Möglichkeit der Eigenkapitalbildung wäre. Zwar gibt es in Moskau durchaus einzelne Besitzer sogenannter kommerzieller Läden, denen Geschäftsleute aus dem Westen mit Startkapital weiterhelfen würden. Nur: ganz ohne Sicherheiten trennen sich auch die wohlmeinendsten von ihnen nicht vom Geld. dri
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