: Bayern steigt nicht ab!
Bayern München—Dynamo Dresden 3:1/ Mit dem nicht gerade überzeugenden Sieg gegen Sachsens fußballerische Speerspitze tat Bayern München einen wichtigen Schritt zum Klassenerhalt ■ Von Werner Steigemann
München (taz) — Warum geht der langjährige Fußballanhänger in ein Stadion? Doch nicht, um ungeachtet der sommerlichen Hitze zweiundzwanzig Männer zu beobachten, die sich auf einer Wiese interesselos und umständlich einen Ball zuschieben. Auch nicht, um eine privatfunkmäßige Inszenierung des Vorspiels mit unmäßig lauter Dosenmusik, die schon die ersten aus dem Stadion trieb, zu ertragen. Erst recht nicht das sinnentleerte Getobe pubertierender Fans und die unerträgliche Schwüle in den Engen der Stehplätze treibt ihn aus dem Haus. Ganz einfach, er möchte ein unterhaltsames Fußballspiel betrachten. Freilich, die erste Halbzeit des Spieles zwischen den Bayern und Dynamo Dresden grenzte unter Berücksichtigung obiger Faktoren an Masochismus: Geld zu bezahlen für körperliches Unwohlsein und fußballerische Langeweile. Da benötigt man, wie oft in Bayern, Bier.
Kurz bevor der Betrachter dem jämmerlichen Fußballereignis den Rücken zuwenden wollte, half der Zufall. Nach Seitenwechsel und einem erneuten, spendierten Bier war es den technisch etwas behinderten Abwehrspielern der Dresdner unmöglich, den Ball aus dem Strafraum zu bringen. Dies konnte selbst ein Menschenfreund wie der Brasilianer Jorginho nicht mehr mit ansehen und beförderte den Ball zu aller Erstaunen ins Tor zur Bayernführung. Gestoßen und mit Bier beschüttet kam auf den Rängen neue Hoffnung auf.
Und die Bayern wollten den treuen Fan nicht enttäuschen. Nicht zu vergessen, auch die Dresdner halfen mit. Endlich verließen sie ihren eigenen Strafraum und stürmten in die vorher verbotene Zone des Gegners. Das Stadion erwachte aus dem sommerlichen Hitzeschlaf. Das Mittelfeld der Roten spielte endlich nicht mehr quer, sondern nach vorne, dorthin, wo das Tor steht. Gesichert vom kleinen Libero Thon und zwei starken Manndeckern wie Helmer und Kreuzer, durften alle, Jorginho, Schupp, Ziege und die Hoffnung Scholl, selbst der Rentner Wouters, ein sehr ansehnliches Spiel inszenieren.
Dies erbrachte für die beiden Angreifer Mazinho und Bruno Labbadia, von denen sich nur letzterer dieses Attribut verdiente, Chancen in Hülle und Fülle. Das 2:0 nach 75 Minuten entsprang einem angeschnittenen Eckball von Ziege, der zwischen Labbadia und seinem Bewacher Schößler über die Linie holperte. Und zwei Minuten später war es wiederum Labbadia, der beste Fanbetreuer der Bayern, der per Abstauber das 3:0 erzielte. Die Gegenwehr der Akteure aus Dresden neigte sich da schon gegen Null. Nur der ältere Herr im Mittelfeld, Hans-Uwe Pilz, der junge Ausputzer Mauksch und der gute Torhüter Müller wehrten sich gegen ein Debakel. Letztlich ermöglichte Schiedsrichter Witke den drei Sachsen ein Erfolgserlebnis. Er pfiff zur allseitigen Überraschung einen Strafstoß für Dynamo. Den verwandelte der oft gescholtene und spät eingewechselte Torsten Gütschow, im realen Sozialismus verdienter Torjäger und Späher.
Als es dann kurz nach fünf Uhr Schluß war mit der Kickerei, herrschte auf allen Rängen Jubel, Freude und Heiterkeit, erstaunlicherweise auch auf Dresdner Seite. Was die zu feiern hatten, war niemandem so richtig ersichtlich. Gut zu sehen war jedoch aus den Niederungen der Stehränge heraus, wie sich die Münchner Reporterschaft auf den kleinen Olaf Thon stürzte. Bekommt der doch Konkurrenz in seinem besten Fach, dem Dampfplaudern. Der Meister dieser bei allen Fußballspielern beliebten Kunst, Lothar Matthäus, kehrt aus Mailand an die Isar zurück. Die Herzen der Schreiberlinge, der Funk- und Fernsehinterviewer erglühen vor Freude ob der zu erwartenden Redengüsse.
Trotz alledem, das nächste Mal steht man wieder an seinem zwanzigjährigen Stammplatz, umgeben von den inzwischen 20 Jahre älter gewordenen Freunden, versucht trotz doofen Vorspiels zu fachsimpeln und freut sich auf die unumgängliche deutsche Meisterschaft für die Bayern. Allen Unkenrufen zum Trotz — kommen sie nun von Gerhard Polt oder der notorisch bayernkrittelnden Sportredaktion einer standhaften überregionalen Tageszeitung aus Berlin — Bayern steigt nicht ab!
Dynamo Dresden: Müller - Maucksch - Schößler, Wagenhaus - Hauptmann, Stevic (72. Gütschow), Pilz, Kmetsch, Kern - Jähnig, Rath
Schiedsrichter: Witke (Mönchzell); Zuschauer: 30.000
Tore: 1:0 Jorginho (48.), 2:0 Labbadia (76.), 3:0 Labbadia (78.), 3:1 Gütschow (87./Foulelfmeter)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen