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Schulweihnachtsfeier

■ Edith Clevers „Stella“- Inszenierung in Berlin

Das Posthorn tönt. Ein Brünnlein fließt. Der Postmeisterin (Katherina Mai) sind zwei leibhaftige Kinder an die Seite gestellt, ganz wie es bei Goethe im Buche steht. Die Szene (Bühne: Thilo Reuther) ist schlicht. In der Mitte ein großer Tisch aus Holz. Ein Spalt im schwarzen Hintergrund gibt den Blick auf eine Landschaft frei. Wäre jemand anders als Edith Clever für die Aufführung verantwortlich, man würde das alles etwas unbedarft finden. So aber kann getrost davon ausgegangen werden, daß so selbstbewußt zur Schau gestellte Naivität besondere Authentizität behaupten will. Goethe pur, Stella hochkonzentriert vom Blatt gespielt.

Aber aller Anfang ist schließlich schwer, und „Stella“ beginnt als Bauerntheater. Das deftige Dämchen von Postmeisterin stemmt bei jeder nur möglichen Gelegenheit die Hände in die Hüften und spricht ihren Text, als gäb's hier kein Theaterstück, sondern eine Schulweihnachtsfeier. Madame Sommer (Kathrin Reinhardt) erscheint als statuarischer Trauerkloß, und Luzie (Jana Mattukat), ihre halbwüchsige Tochter, platzt fast vor gezwungener Fröhlichkeit. Als schließlich Fernando (Philip Kramer) einen Scheinwerfer anhimmelt, deklamierend wie in einer Theaterparodie (es war aber wirklich ernst gemeint) scheint der Abend auf eine satte Blamage zuzusteuern. Überforderte Schauspieler, eine Regisseurin, die sich ganz offensichtlich verhoben hat — die Schauspielerin Edith Clever, immerhin eine der ganz Großen ihres Fachs, die mit dieser Aufführung, erarbeitet mit Schauspielstudenten aus Salzburg, Wien und Berlin, ihr Regiedebüt gab.

Es kam dann nicht ganz so schlimm, wie der Anfang befürchten ließ. Doch richtig gut wurde es trotzdem nicht. Zwar kam die Clever Akt für Akt als Regisseurin dem näher, worin sie selbst als Schauspielerin meisterhaft ist. Nämlich das Theaterspielen auch als ein Darstellen von Sprache zu begreifen. Dennoch, im Fall von Goethes „Stella“ wuchs sich das nicht zum Vorteil aus. Denn man hat es hier mit einem Stück zu tun, das nicht zelebriert, sondern auch unbedingt gespielt sein will.

Doch da fehlte es Edith Clever entschieden an szenischer Phantasie. Zwar entfaltet das Duett und Duell der Gefühle zwischen Stella (Justina del Corte: vital, schön und ein bißchen geschwätzig) und Cezilie, in dessen Verlauf auch Kathrin Reinhardt als Schauspielerin aufblüht, mitunter durchaus seine Magie. Aber wo nicht die Sprache selbst den Abend trägt, (was schließlich mehr das Verdienst eines Herrn von Goethe als einer Frau Clever ist), bleibt's ziemlich hölzern. All die Gefühle, von denen in diesem „Schauspiel für Liebende“ so nuancenreich die Rede ist, meist materialisieren sie sich schlicht in leeren Theatergesten (Stella: Hand an die Stirn, Cezilie: Hand auf die Brust).

Und so fragt man sich schließlich als durchaus wohlwollende Zuschauerin, warum denn bloß um Himmels willen ein streckenweise vielleicht ganz passables Rollenstudium uns gleich als Regiedebüt verkauft werden muß. Hätte es eine Studioaufführung an der HdK denn nicht auch getan? Oder sind Deutschlands Theaterkoryphäen nur als Lehrer für den Nachwuchs zu gewinnen, wenn es sich karrieretechnisch lohnt? Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Aber, wie wir sehen, nicht immer. Esther Slevogt

Johann Wolfgang von Goethe „Stella“, eine Koproduktion von Szene Salzburg und dem Hebbel- Theater Berlin; Inszenierung: Edith Clever, Bühne: Thilo Reuther, Kostüme: Alexandra Pitz, Hebbel-Theater 28.-31. August 1992

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