: Belagerung von Gorazde beendet?
■ Widersprüchliche Aussagen zu Art der Militäraktion in Bosnien-Herzegowina/ Kroatische Grenzstädte und Sarajevo weiter unter Beschuß/ Kroaten und Moslems einigten sich über Territorialeinheiten
Sarajevo/Zagreb (AFP/AP/taz) — Ein erster schmaler Silberstreifen erscheint am Horizont von Ex-Jugoslawien. Nach vier Monaten Belagerung können die etwa 100.000 hungernden Menschen von Gorazde angeblich aufatmen. Bosnische Regierungstruppen haben nach Berichten von Radio Sarajevo und dem bosnischen Rundfunk gestern die Belagerung der ostbosnischen Stadt an der Drina beendet. Ob es sich dabei um einen gewaltsamen Durchbruch oder um den vom bosnischen Serbenchef Karadzic angekündigten Rückzug der Belagerer handelt, blieb unklar. Radio Sarajevo meldete zwar, daß 80 Prozent der Stadt inzwischen wieder von bosnischen Einheiten übernommen wurde, machte aber keinerlei Angaben zu möglichen Opfern. Der bosnische Rundfunk gab dagegen an, die Serben hätten mindestens 90 Soldaten bei „der Militäraktion“ verloren. Kurz nach der Londoner Jugoslawienkonferenz hatten die serbischen Belagerer ihren Rückzug angekündigt. Unter denen, die bis jetzt in der Stadt ausharren mußten, gibt es mehrere zehntausend Moslems, die aus Dörfern der Umgebung geflüchtet sind.
Unverändert sieht die Situation in anderen Bürgerkriegsregionen aus. Bei Artillerieangriffen der jugoslawischen Bundesarmee auf die kroatischen Städte Slavonski Brod und Nova Gradiska östlich von Zagreb sind seit Samstag abend zwei Menschen getötet und elf zum Teil schwer verletzt worden. Die Bundesarmee habe die beiden Städte von Stellungen in Nordbosnien aus unter Beschuß genommen, meldete das kroatische Fernsehen gestern morgen.
Auch in Alipajino Polje, einem Vorort westlich von Sarajevo, sind gestern 15 Menschen, größtenteils Frauen und Kinder, ums Leben gekommen. Auf einem stark besuchten Marktplatz explodierte eine Granate um die Mittagszeit. Dutzende Personen wurden schwer verletzt. Ärzte am Französischen Krankenhaus in der bosnischen Hauptstadt sagten später, viele der Verwundeten seien in einem äußerst kritischen Zustand und würden nicht überleben.
Unterdessen haben sich Kroaten und Moslems auf die Bildung von vier territorialen Einheiten in Bosnien-Herzegowina geeinigt. Der Beschluß sehe die Gründung der Verwaltungsgebiete Sarajevo-Zenica, Mostar-Travnik, Tuzla-Doboj und Banja Luka-Bihac vor, berichtete die kroatische Tageszeitung Novi Vijesnik gestern. Die Vereinbarungen sind offensichtlich das Ergebnis von Gesprächen zwischen einem Komitee der bosnischen Demokratischen Kroatischen Gemeinschaft (HDZ) und Vertretern der moslemischen Partei der Demokratischen Aktion (SDA).
Die beiden Delegationen hatten sich am Samstag nachmittag in der Herzegowina getroffen, um die Umsetzung der „Vereinbarung über Freundschaft und Kooperation“ zwischen Kroatien und Bosnien auszuhandeln. Diese waren am 21.Juli vom kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und seinem bosnischen Amtskollegen Alija Izetbegovic unterzeichnet worden.
Nach Angaben eines kroatischen Teilnehmers der Verhandlungen am Samstag ist der Beschluß über die Gründung der territorialen Einheiten allerdings nur vorläufig. Er müsse noch in Zagreb auf höchster Ebene diskutiert werden. Nach der Vereinbarung soll die Republik von Bosnien-Herzegowina weiterhin für die Bereiche Außenpolitik, gemeinsamer Markt, Verteidigung und Finanzsystem zuständig bleiben.
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