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Wohnungsgesellschaften gegen Politik

■ Wohnraum für Obdachlose: Ampel hat viele Konzepte, aber noch nicht entschieden

Den Sozialexperten der Ampel und den Wohnungsbaugesellschaften stehen in den kommenden Wochen harte Verhandlungen ins Haus. Pünktlich zum Beginn des Winters drängen die Grünen auf die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zu 1.000 zusätzlichen Wohnungen für die „Beladenen“. Die Grünen gehen auf Konfrontationskurs zu den Wohnungsgesellschaften, deren Position von der SPD eher geteilt wird.

Von den 4.400 Haushalten, die im vergangenen Jahr als Notfälle registriert wurden, konnten gerade 1.600 untergebracht wer den. Neue Wohnungen stehen kaum zur Verfügung, also bewegen sich die Überlegungen in den Grenzen des Bestandes. Der Streit entzündet sich nun an der Frage, wie die dringendesten Fälle untergebracht werden könnten.

Die Fluktuation bei den Sozialwohnungen ist gering, die Notstandsfälle steigen und die Wohnungsbaugesellschaften können sich aussuchen, wen von der großen Zahl der dringendsten Fälle sie versorgen wollen. Da gehen erfahrungsgemäß die vor, die am wenigsten Ärger machen. Das führt dazu, daß immer mehr Menschen auf der Straße hausen oder in teuren Notbehelfen wie Billigpensionen unterkommen. Notfalls bleiben die Häftlinge auch mal über das Ende ihrer Haftzeit im Knast.

Bislang wird die Belegung der Sozialwohnungen durch den „Bremer Vertrag“ geregelt. Dort ist festgeschrieben, daß Bremen auf sein Recht verzichtet, in die Vergabe dieser öffentlich geförderten Wohnungen direkt einzugreifen. Die Gesellschaften regeln die Vergabe selbst und verpflichten sich im Gegenzug, einen Teil der Wohnungen für Notstandsfälle vorzuhalten. Diese Quote ist allerdings nicht festgelegt. Und hier ist der Punkt, an dem die Grünen das Skalpell ansetzen wollen, um die wachsende Zahl von Notfällen im Bestand der Sozialwohnungen unterzubringen.

Aus den Reihen der Grünen kommt der Vorschlag, den Bremer Vertrag vorsorglich zu kündigen, fristgerecht zum 30. September. In einem neuen Vertrag soll dann eine Notstandsquote von 60 Prozent bei freiwerdenden Sozialwohnungen festgelegt werden. Dazu soll Bremen nach Vorstelungen der Grünen Sozialexpertin Karoline Linnert auf seinem Recht zur Wohnungsvergabe bestehen.

Dagegen laufen die Wohnungsgesellschaften Sturm. In einem Papier der Arbeitsgemeinschaft der Wohnungswirtschaft loben die Gesellschaften sich und den Bremer Vertrag, unter strenger Auslassung des Themas Obdachlosigkeit. Die Politiker, die die Änderungskündigung zugunsten einer festen Quote forderten, könnten offensichtlich nicht rechnen, meint der Verbandschef Detlef Knust. Die reale Fluktuation sei viel geringer als von den Kritikern angenommen. Und Dieter Coordes, Geschäftsführer der „Bremischen“ meint: „Damit stellen sie keine zusätzliche Wohnung zur Verfügung.“

Der Protest der Wohnungswirtschaftler zeigte gestern schon Wirkung. Nach einem Gespräch von Vertretern der Gesellschaften mit der SPD-Bürgerschaftsfraktion teilten die Sozialdemo

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kraten mit, daß sie gegen die Kündigung des Vertrages seien. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit solle nicht gestört werden. Kernforderung der SPD: Nur Obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte sollen als Notstandsfall akzeptiert werden.

Zumindest mit der letzten Forderung liegen die Sozialdemokraten ganz auf der Linie des Sozial

und des Bauressorts. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe hat einen Vorschlag erarbeitet, der im Oktober beraten werden soll. Ein Eingriff ist auch beim Behördenvorschlag vorgesehen: 10 Prozent der freiwerdenden Sozialwohnungen soll vom Amt für Soziale Dienste an der Wohnungswirtschaft vorbei vergeben werden. Jochen Grabler

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