Lesben Liebe Leidenschaft

■ Eine Textsammlung zur feministischen Psychologie

Lesben, Liebe und Leidenschaft gehen, wie sollte es auch anders sein, nicht immer zusammen. Daß Lesben anders sein sollen, schützt sie leider nicht davor, tiefgehende und nicht nur partnerschaftliche Krisen zu erleiden. Das Buch „Lesben, Liebe, Leidenschaft“ enthält eine Sammlung von Texten zur feministischen Psychologie, allen voran ein Aufsatz von Monica Streit, die einem Mysterium besonderer Art nachgeht, der Symbiose. Die Autorin und Psychotherapeutin hat hier eine Analyse vorgelegt, die erhellende Antworten gibt auf die Frage, warum Frauen respektive Lesben sich so häufig in Symbiose verstricken, warum Ich-Identitäten zurückgestellt, wenn nicht aufgegeben werden zugunsten einer romantisch verbrämten Zweisamkeit, die letztlich dazu verdammt scheint, unter ihrer Illusionsbeladenheit zusammenzubrechen.

Was dann wie Schicksal erscheint, verdankt sich bestimm- und rekonstruierbaren Strukturen in der Sozialisation von Frauen. Strukturen, wie sich auch die US-amerikanische Psychotherapeutin JoAnn Loulan zur Erklärung eines anderen Phänomens beschreibt: „Meine Untersuchungen haben ergeben, daß die Häufigkeit von Sex bei lesbischen Paaren nach dem ersten Jahr drastisch abnimmt... Der Sex flaut ab, bis er nur mehr ein flüchtiger Kuß auf die Wange ist.“ Wie kommt es dazu, und wie läßt sich „das Feuer schüren“? JoAnn Loulan, mit mehreren Texten im Buch vertreten, zeichnet nicht allein bestimmte Entwicklungszusammenhänge nach, sondern bemüht sich, Handlungsperspektiven aufzuzeigen, die aus dem fatalen Kanon des Vorgegebenen, anders gesagt, der Vergeblichkeit herausführen können.

Womit sie eines der primären Anliegen des Buches einlöst, nämlich „Wege zur Heilung“ aufzuzeigen. In dem so überschriebenen Kapitel finden sich Beiträge, die für die Auseinandersetzung mit sexuellen Mißbrauchserfahrungen sehr wertvoll sein können. JoAnn Loulans Ausführungen zu dem, was es bedeutet, „das Kind in uns zu heilen“, sind hilfreich für alle Frauen, nicht allein für die, die selbst Überlebende des sexuellen Mißbrauchs sind.

Weitere wichtige Kapitel des Buches wenden sich der Problematik des Suchtverhaltens zu. Thematisiert werden etwa Alkohol- und Eßsucht, Phänomene also, die bislang lediglich, wenn überhaupt, unter der Sicht heterosexueller Normvorgaben Betrachtung fanden und in dieser Aufarbeitung stets unter unzureichenden Verallgemeinerungen litten. Mangelndes Differenzieren ist jedoch nicht allein der Heterowelt vorbehalten. „Lesbischsein läßt sich verleugnen, Schwarzsein nicht“, weist die Afrodeutsche Ika Hügel auf einen jener Unterschiede hin, die von weißen Lesben oftmals nicht begriffen werden. Die Vereinnahmung durch das große „Wir“ weißer Lesben verhindert nicht nur die Sicht auf die besonderen Formen der Diskriminierung, denen schwarze Frauen ausgesetzt sind. Die Gleichmacherei beschneidet zusätzlich die Möglichkeiten schwarzer Frauen, Selbstbewußtsein und Stolz auf gewisse Unterschiede wie Hautfarbe oder kulturelle Herkunft zu entwickeln.

„Die lesbische Gemeinde hat — wie jede Gemeinschaft — ihre eigenen Gesetze. Ein nicht unwesentliches Gesetz ist ewige Jugend und Gesundheit.“ Dieser Satz deutet an, worüber ebenfalls mit fast konstanter Boshaftigkeit hinweggesehen wird: daß die Erfahrungswelt chronisch kranker Lesben durch andere Koordinaten gekennzeichnet ist als die von sogenannten Gesunden. In eindrucksvoller Offenheit beschreibt hier Ahima Beelrage die Genese ihrer Krankheit, in deren Verlauf sie sich „immer wieder zwischen den Welten“ befand, konfrontiert mit Ärzten, heterosexuellen Therapeutinnen, aber auch lesbischen Freundinnen, die große Neigung zeigten, über die Krankheit hinwegzusehen.

Das Buch fordert dazu auf, Unterschiede zu begreifen und zu leben. Das setzt die Bereitschaft zum Lernen voraus. Wenn es stimmt, daß Lesben die Auseinandersetzung mit Liebe und Leidenschaft suchen, so finden sie in dem Orlanda-Buch ein ausgezeichnetes Hilfsmittel. Dora Hartmann

„Lesben, Liebe, Leidenschaft“, Hrsg. Redaktionsgrupe Orlanda, Orlanda-Frauenverlag, 304 Seiten, 39,80 DM