: Die neue Heroinwelle
Heroin statt Kokain, Mohn statt Koka — Kolumbien ist wieder einmal dabei, den Drogenmarkt der Zukunft zu besetzen/ Ein weiteres Fiasko der internationalen Prohibitionspolitik bahnt sich an ■ VON KAI AMBOS
Es sind hier viele Leute hergekommen, damit wir aufhören, Kartoffeln und Zwiebeln zu säen und ,die Blume‘ blühen lassen. Sie kümmern sich um alles, denn sie geben uns die Samen, später kommen sie, um aufzuschneiden und die Milch herauszuholen. Wir pflügen nur, säen und passen auf.“
Der Bauer im kolumbianischen Cauca erzählt vor dem Hintergrund des Lärms der von der US-Drogenbekämpfungsbehörde (DEA) bezahlten Polizeihubschrauber, die der neuen kolumbianischen „Mohnexpansion“ Herr werden wollen.
Die Gefahr unterschätzt
Als im Jahr 1984 erstmals 27 Hektar Mohnpflanzungen und Verarbeitungslaboratorien für Opium, Heroin und Morphium im Süden des Departments Tolimas entdeckt und 17.200 Mohnsträucher von der Polizei beschlagnahmt wurden, regte sich niemand in Kolumbien sonderlich auf. Sieben Jahre später lösten ähnliche Entdeckungen in Tolimas und zehn anderen Departments bei Politikern und Sicherheitskräften Panik aus, obwohl 1986 und seit 1988 jedes Jahr größere Mengen Mohnsträucher beschlagnahmt wurden. Im Januar 1992 sprach der „Nationale Drogenrat“, das drogenpolitische Hauptorgan in Kolumbien, noch von 2.900 Hektar Mohnanbau im Land, im April schon von 20.000.
Täglich werden von Drogenpolizei und Militär Mohnsträucher aufgespürt und zerstört: mehr als acht Millionen während des Jahres 1991 nach Angaben der kolumbianischen Ermittlungspolizei DIJIN, und im ersten Trimester von 1992 allein schon über 16 Millionen.
Auch bei den Derivaten des Schlafmohns ist die Tendenz besorgniserregend. Die Beschlagnahmen und Festnahmen auf dem Hauptmarkt USA steigen kontinuierlich. Im April wurden auf dem Kennedy- Flughafen von New York 34 Kilo Heroin beschlagnahmt.
Nach Angaben des kolumbianischen Geheimdienstes DAS sind alle Kokain-Mafias in das neue Geschäft verwickelt. Das Wochenmagazin Semanas berichtet, Ex-Mitglieder der Kokain-Kartelle von Medellin und Cali hätten ein „Mohn-Kartell“ gebildet, um die Kokain-Mafias gegeneinander auszuspielen.
Wie kam es soweit?
Der Bauer in Cauca: „Einmal kamen einige Männer aus der Stadt und erklärten uns, das würde uns viel Geld bringen, wir sollten es säen, und sie würden es uns später abkaufen. Später kamen noch mal drei, diesmal zu Pferd, und sagten uns erneut, daß wir doch säen sollten, daß sie uns den Samen gäben und die Werkzeuge, daß sie früher Koka gekauft hätten, aber dieses Geschäft wäre inzwischen so schlecht, daß sie hierhergekommen seien.“
Die Förderung des Mohnanbaus ist einfach und effektiv. Die „Herren aus der Stadt“ suchen die marginalisierten, für den Mohnanbau geeigneten hochgelegenen und kühlen Gebirgszonen auf und bieten den verarmten Bauern Mohnsamen, Nahrungsmittel und Geld gegen die erste zukünftige Ernte.
Die positive Antwort der Bauern läßt meist nicht lange auf sich warten. Wie im Falle der Koka (taz vom 8.1. und 11.4. 92) sind auch beim Mohn die enormen Rentabilitätsvorteile gegenüber den legalen Agrarprodukten der entscheidende Faktor. Der Bauer erhält Kapital in Form von Samen und finanziellen Vorschüssen und hat kaum Arbeit mit der Pflanze, die in der Fachsprache Papaver somniferum heißt. Vier bis sechs Monaten nach der Aussaat ritzt er die Rinde der Mohnkapsel horizontal oder schräg vorsichtig am Abend an, damit der milchig-kautschukähnliche Saft herausfließt, über Nacht eintrocknet und am nächsten Morgen eingesammelt werden kann. Die Tagessonne würde das Eintrocknen verhindern und zudem die Qualität des Saftes beeinträchtigen.
Das Opium — der Name ist nichts anderes als die griechische Bezeichnung für „Saft“ — ist genaugenommen dieser „Milchsaft“ der Mohnkapsel. In Kolumbien, so staatliche Angaben, erhält man pro Kapsel 0.05 Gramm Rohopium, auf einem Hektar mit 12.000 Mohnsträuchern pro Ernte 7 Kilo. Bei einem Preis von inzwischen 1.700 US-Dollar pro Kilogramm kann der Bauer schon nach der ersten Ernte bis zu 17.000 Dollar verdienen — ein Vielfaches nicht nur der legalen Agrarprodukte, sondern auch der Koka, für die derzeit ein bis zwei Dollar pro Kilo bezahlt werden.
Der Zwischenhändler verkauft das Opium für bis zu 3.000 Dollar pro Kilo weiter. Es wird dann zu Heroin verarbeitet. Aus den 7 Kilo Opium lassen sich 0,7 Kilo Heroin gewinnen. Für ein Kilo kolumbianisches Heroin werden inzwischen auf dem US-Großmarkt 150.000 bis 300.000 Dollar bezahlt — im Vergleich: für ein Kilo Kokain „nur“ noch 20.-30.000 — und der Straßenpreis ist um das Drei- bis Sechsfache höher. Und diese Preise gelten, obwohl nach offiziellen Angaben die Qualität des kolumbianischen Mohns schlechter ist als die des asiatischen, der in Laos und Birma produziert wird.
Alte und neue Mafias
Die Spekulationen hinsichtlich Organisation und Struktur des neuen Mohnhandels reichen von der These einer aus Asien ferngeleiteten Organisation bis hin zu einem autonomen kolumbianischen Mohnkartell. Die Wahrheit dürfte wohl in der Mitte liegen. Colonel Serrano, Direktor der kolumbianischen Antidrogenpolizei DIRAN, macht die traditionellen Kokain-Kartelle verantwortlich. Ähnlich weist auch der Geheimdienst DAS darauf hin, daß „alle Kokain-Mafias“ am neuen Geschäft beteiligt seien.
Für diese These spricht die Verwendung der aus dem Kokainhandel bekannten Techniken — die finanzielle Verführung der Bauern, die gezielte Produktionsausweitung seit Ende 1990, die Nutzung bekannter Transportrouten zum US-Markt. Laut DAS werden die notwendigen Verfahren zur Heroinherstellung systematisch unterrichtet, Mitglieder der Kartelle reisen zu „Lehrgängen“ nach Asien und Asiaten kämen als „Lehrer“ nach Kolumbien.
Daß dies nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, belegt die Festnahmen von zwei Mitgliedern des Medellin- Kartells in Thailand und die illegale Einreise von 40 Pakistanern, zwei Indern und zwei Srilanker nach Kolumbien Ende 1991, die wegen des Verdachts der „Förderung der Morphium- und Heroinverarbeitung“ ausgewiesen wurden.
Geheimdienstinformationen deuten außerdem darauf hin, daß eine Art „Pakt“ zwischen asiatischen und südamerikanischen Kartellen geschlossen worden ist, um eine massive Produktionsverlagerung von Koka nach Asien und Mohn nach Südamerika vorzunehmen. Einleuchtender Grund: der zu erobernde Kokainmarkt der Zukunft liegt nicht mehr in den USA, sondern im Asien- nahen und über die GUS und den Balkan leicht zu erreichenden Europa, während die USA als zukünftiger Heroinmarkt gelten.
Guerilla und Gewalt
Auch die Theorie der narcoguerilla — schon 1984 erfunden vom US- Botschafter Tambs in Kolumbien, um insbesondere die kommunistische FARC-Guerilla wegen ihrer angeblichen Verwicklung ins Kokaingeschäft zu diskreditieren — erfährt durch die Mohnexpansion eine Renaissance. Der noch aktiven Guerilla, neben der FARC die „Befreiungsarmee“ (ELN), wird von den Sicherheitskräften nicht nur Toleranz gegenüber der Mohnproduktion in ihren Einflußgebieten vorgeworfen, sondern auch aktive Teilnahme im Sinne der Bewachung und Förderung von Mohnpflanzungen.
Wie im Falle von Kokain gibt es aber auch beim Heroin, wie ein britischer Journalist einmal feststellte, „viel Spekulation, aber wenig klare Beweise“. Tatsache ist, daß Mohn in Guerilla-beherrschten Zonen angebaut wird, etwa im Cauca, in Narino, Putumayo oder Santander. Doch in diesen Zonen existieren inzwischen auch vom Heroinhandel gegründete und bezahlte Privatarmeen, die — im Gegensatz zur diskussionsfreudigen und in der Regel respektvollen Guerilla — mit (journalistischen) Besuchern kurzen Prozeß machen. Diese Banden stellen langfristig eine Gefahr für die Guerilla dar, da sie ihr die territoriale Kontrolle streitig machen.
Aus diesem Grund soll sich die im Cauca aktive ELN inzwischen gegen den Mohnanbau ausgesprochen haben. Die ambivalente Position der Guerilla wird auch daran deutlich, daß nach einem vertraulichen Dokument des UNO-Drogenkontrollprogramms (UNDCP) sowohl FARC als auch ELN ihre Bereitschaft haben erkennen lassen, ein Mohnsubstitutionsprojekt im Cauca zu tolerieren.
Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kolumbianische Guerilla — ähnlich wie Sendero und MRTA in Peru — beim Heroingeschäft kräftig absahnt und dies sich inzwischen zu ihrer Hauptfinanzierungsquelle entwickelt hat. Wie im Falle von Koka wird den Bauern eine Art Schutzgeld abgefordert, das zehn bis dreißig Prozent des Gewinns betragen soll. Nach Angaben der Sicherheitskräfte soll der FARC das Heroingeschäft 15 Milliarden Dollar jährlich einbringen und die traditionelle Einnahmequelle „Entführungen“ mit 10 Milliarden auf den zweiten Platz verdrängt haben. Die damit verbundene Gefahr des Verlustes an revolutionärer Glaubwürdigkeit liegt auf der Hand.
Andererseits bringt der Mohn — wie ehedem Koka — die Gewalt zurück. Die genannten paramilitärischen Banden bedrohen nicht nur die Besucher, sondern auch die Bewohner der Anbauzonen. Ein Massaker an 20 Eingeborenen des Cauca Ende 1991 wird von Generalstaatsanwalt Arrieta darauf zurückgeführt, daß die neuen Mafias verhindern wollten, daß in den Mohnanbau „verwickelte Personen mit den staatlichen Autoritäten sprechen“.
Gift aus den USA
Dona Nelly, Bäuerin im Cauca, erzählt, wie die Mohnankäufer die ländliche Ruhe der Nächte mit ihren Motorrädern und Autos zerstörten und wie sie ihren Sohn, den sie für einen Spion der Armee hielten, umbrachten: „Es lohnt sich nicht, darüber zu sprechen.“ Die Gewalt, Kehrseite des Geldes und typische Begleiterscheinung eines illegalen Drogenmarktes, ist in den Cauca zurückgekehrt.
Die von der Heroinoffensive überraschte Regierung und die Sicherheitskräfte haben sich zunächst nicht anders zu helfen gewußt, als unter dem Druck der USA das Herbizid „Glifosat“ (Marktnamen: Round-Up, Rodeo) einzusetzen. Der Nationale Drogenrat gab Ende Januar sein grünes Licht dafür, da die Mohnexpansion „eine potentielle und wachsende Gefahr für die öffentliche Ordnung“ darstelle.
Dem folgte ein polemischer Schlagabtausch zwischen Regierung und Glifosat-Gegnern. Umweltschützer warfen der Regierung vor, keinerlei Untersuchungen hinsichtlich der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit des Stoffes durchgeführt zu haben, worauf diese in Gestalt ihres ebenso jungen wie unerfahrenen damaligen Justizministers Carillo sie als „Komplizen der Interessen des Drogenhandels“ bezeichnete.
Als Antwort verkündete die US- Botschaft, die hinter der ganzen Idee steckt, daß Glifosat „keine höhere Toxizität enthalte und als Herbizid sicherer für die Bewahrung der Umwelt ist“, ohne die Begriffe „höher“ und „sicherer“ zu erklären. Die Regierung ließ durch ihren ehemaligen Gesunheitsminister aus der Ex-Guerillabewegung „M-19“, Gonzalez, der anfänglich noch gegen die Maßnahme war, eine „technische Kontrollkommission“ einsetzen und Anwendungskriterien festlegen. Das Glifosat solle nur bei „großflächigen“ Mohnkulturen, die fernab von menschlichem, tierischem und (legalem) pflanzlichem Leben liegen, eingesetzt werden. Der Kriterienkatalog liest sich wie eine Anleitung für Drogenhändler, wo sie den Schlafmohn ungestört anbauen können.
Ökologische Bedenken hin und her — auch die „legale“ kolumbianische Landwirtschaft ist wenig umweltverträglich —, die soziale und kriminalpolitische Komponente einer solchen Maßnahme darf nicht vergessen werden. Die Erfahrungen mit chemischer Drogenprimärstoffvernichtung, etwa gegen Cannabis in Kolumbien in den 70er Jahren und gegen Koka im peruanischen Alto Huallaga in den 80ern, zeigen, daß Erfolg in Form eines merkbaren Anbaurückgangs kaum garantiert ist.
In der Regel beantwortet der Drogenhandel solche Rundumschläge mit Produktionsverlagerung. „Die physische, biologische oder chemische Zerstörung“, so ein vertrauliches UNDCP-Dokument, „beißt sich mit einem Charakteristikum der illegalen Produktion: ...Die Agrargrenze des Mohnanbaus ist nicht etwa schon erreicht, sondern noch immer entwicklungsfähig.“ Mit anderen Worten: Der Mohnanbau kann beliebig ausgedehnt werden. Hinzu kommt, daß die Mohnpflanze schon nach vier bis sechs Monaten ihr optimales Reifestadium erreicht, während die Koka etwa fünf Jahre benötigt. Der Heroinrohstoff ist also binnen kürzester Zeit reproduzierbar.
In der Praxis hat nicht nur eine Produktionsverlagerung stattgefunden, sondern die Mohnbauern im Cauca sind auf die viel originellere Idee gekommen, die Mohnsträucher mit einer Wasserlösung von Honig oder der Nationalspeise Panela zu begießen und sie damit gleichsam mit einer Schutzschicht zu überziehen, deren Wirksamkeit gegen das Glifosat jedoch noch offen ist.
Aus sozialer Sicht stellt sich die Glifosat-Anwendung für die Bauern als Repression dar. Ein Mohnbauer im Cauca: „Die Anwendung von Glifosat fügt uns Schaden zu, weil die Leute mehr Mohn weiter oben in den Bergen säen werden. Man soll die Repression nicht gegen die Bauern richten, sondern gegen die, die den Samen bringen und das Geld, um den illegalen Anbau mit armen Bauern zu fördern. Gegen die tut man nichts.“
Alternativen
Auf offizieller Ebene hat die „Nationale Drogendirektion“ (DNE), das dem Drogenrat untergeordnete drogenpolitische Exekutiv- und Planungsgremium, Bedenken bezüglich der Glifosat-Anwendung geäußert und hinter vorgehaltener Hand kritisiert, daß in der nationalen Presse „nur von der Polizei lancierte Artikel“ erschienen seien. In einem vertraulichen Dokument wird vorgeschlagen, eine interdisziplinäre Feldstudie zu den Folgen des Glifosats vor seiner Anwendung durchzuführen. Der Druck der USA hat es dazu nicht kommen lassen.
Catalina Giraldo, Chefin des Planungsbüros der DNE, fordert außerdem Subsitutionsprojekte für die betroffenen Bauern. Eine diesbzügliche Evaluierung des UNDCP für das Department Cauca kommt zum Ergebnis, daß ein solches Projekt möglich und notwendig sei. Dies setzt freilich das Vertrauen der betroffenen Bevölkerung voraus, das, wie die Erfahrungen des seit 1985 im Cauca tätigen UN-Kokasubstitutionsprojektes zeigen (taz vom 11.4.), kaum durch Repression und Glifosat erlangt wird. Es ist aber immerhin gelungen, ein Abkommen mit Eingeborenengruppen des südlichen Cauca zu schließen, wonach diese Mohnpflanzen manuell entwurzeln und die Regierung dafür den Glifosatgebrauch einstellt und die Entwicklung der Zone fördert.
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