: Prima Leben und Sterben in Bremen
■ In feudalen Stadtteilen lebt man gesünder als in sozial schwachen Regionen
In Hemelingen sterben fast viermal mehr Säuglinge als in Borgfeld, Blumenthal hat die meisten Krebs-Todesfälle und die meisten dicken Frauen und Männer von allen Bremer Ortsamtsbezirken. Hier — wie in der Bremer Neustadt — sterben über 40 Prozent mehr Menschen als in Oberneuland oder Schwachhausen.
Dies und eine Fülle von weiteren Fakten zur gesundheitlichen Befindlichkeit der Bremer wurde gestern im ersten Gesundheitsbericht des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) vorgestellt. Achtzehn Monate lang sammelten BIPS-Wissenschaftler soziale und Sterblichkeitsdaten aus den Jahren 1970 bis 1989 und werteten sie zusammen mit einer institutseigenen Umfrage zur Gesundheit der Bremer im Alter zwischen 25 und 69 Jahren aus. Ihr Ergebnis: „Erkrankungsrisiko und Sterblichkeit zeigen erhebliche Unterschiede in den Bremer Regionen und eine deutliche Beziehung zwischen dem Gesundheitsrisiko der Bevölkerung und ihrer sozialen Lage“, erklärte BIPS-Leiter Eberhard Greiser.
So stellten die BIPSer u.a fest, daß das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, im Ortsamtsbereich Findorff/Walle-Gröpelingen um 78 Prozent höher liegt als in Borgfeld. In der Neustadt ist das Risiko um 77 Prozent höher, in Blumenthal um 68 Prozent. Bei Frauen liegt die Sterblichkeit nach Lungenkrebs deutlich niedriger, die regionale Diskrepanz bleibt: In Blumenthal ist das Risiko um 85 Prozent höher als im raucherinnenarmen Borgfeld.
„Man kann aber nicht seine Lebenserwartung dadurch verlängern, daß man von Burglesum nach Borgfeld zieht“, erklärte Gesundheitssenatorin Irmgard Gaertner (SPD). Die Ergebnisse des BIPS seien „frappierend“, die Forschung aber erst am Anfang. „Wir werden noch viele solche Untersuchungen machen müssen, bevor wir auch sagen können, welchen Anteil beispielsweise der Verkehr, die sozialen Angebote im Stadtteil oder die Grünanlagen der Stadt auf die Gesundheit der Bremer haben.“ Derweil setzt die Senatorin auf Gesundheitsberatung: „Wir haben viele Angebote in den Stadtteilen, die noch mehr von den Bürgern genutzt werden müssen.“ Dazu gehörten Gesundheitsläden und —zentren sowie Vorsorgeuntersuchungen. Außerdem schlug Gaertner vor, die Arbeit zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten neu zu organisieren. Bislang gebe es kaum Kooperationen.
Was sich an sozialer Differenzierung beim Thema Rauchen abzeichnet, gilt auch für den Alkoholmißbrauch. Die BIPS-Studie stellt fest, daß die Zahl der Todesfälle nach Leberzirrhose bei Männern in Blumenthal und Woltmershausen/Neustadt in den letzten zwanzig Jahren viermal so hoch lag wie in Borgfeld. An Leberzirrhose, die meistens auf Alkoholmißbrauch zurückgeht, sterben in Bremen statistisch gesehen doppelt so viele Menschen wie im Bundesdurchschnitt. Bei den Frauen ist der Trend eher anders herum. „In den besseren Stadtteilen haben wir wesentlich mehr trinkende Frauen als anderswo“, sagte BIPS-Abteilungsleiterin Ulrike Maschewsy- Schneider.
Bestätigung erfuhren die Wissenschaftler auch bei ihrer Statistik zur Brustkrebsmortalität. Hier registrierten sie die meisten Fälle in Horn-Lehe, einem besser gestellten Stadtteil. „Wir wissen, daß Frauen, die keine oder spät Kinder kriegen, höher gefährdet sind“, erklärte Greiser dazu. Die Bevölkerungsstruktur von Horn- Lehe weise dieses typische Bevölkerungsmerkmal auf. Rätsel gibt es auch in Zukunft noch zu erforschen. „Wir haben festgestellt, daß die Leukämie-Rate in besser gestellten Gegenden höher ist als in sozial schwachen Gegenden“, berichtete Greiser, „und wir haben überhaupt keine Hinweis, woher das kommen kann.“ Zufall könne diese Beobachtung nicht sein, weil sie sich mit den Ergebnissen in anderen deutschen Städten decken.
Alle drei bis fünf Jahre soll jetzt so eine Gesundheitsstudie für Bremen erarbeitet werden, um Entwicklungen ablesen und gesundheitspolitische Rückschlüsse ziehen zu können.
Markus Daschner
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