: DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAU DR. MONIKA ÜBER TV-PROGRAMMHILFEN
Seit Anfang der Woche macht sich unter einigen meiner Patienten Unruhe breit: „Schon wieder zwei neue. Ich find mich da nicht mehr zurecht“, stöhnen sie hilflos. Grund zur Klage sind nicht etwa zwei weitere TV-Kanäle, sondern jene Flut von Papierwaren, die von der Vervielfältigung des TV-Angebots leben — die Programmpresse also. In dieser Woche sind mit TV neu und Kabel TV wieder zwei neue fernsehverwertende Printprodukte auf den Markt gekommen. Genau genommen sogar drei, denn auch Gruner & Jahr hat jetzt seine Ost-Programmhilfe FF für den Westmarkt aufgepeppt.
Mit Druckauflagen in Millionenhöhe und Minimalpreis (30 Pfennig) erinnern sie an messianische Heilsverkünder: „Seht her, ich bin die schnellste, die übersichtlichste, die kompetenteste und damit die Rettung aus der Finsternis des Programmdschungels.“ Was angesichts der mit 13 verschiedenen TV-Zeitschriftentiteln schon jetzt überquellenden Kioskregale wie eine ziemlich dreiste Behauptung klingt. Doch offenbar reicht den Kunden, die Woche für Woche für 38 Millionen Mark über 20 Millionen dieser bunt bebilderten TV-Surrogate kaufen, das Angebot immer noch nicht.
Mit den Segnungen des Kabelfernsehens, durch Privatsender und Satellitenempfang sind die Programmspalten in den TV-Magazinen allmählich immer enger geworden. Heute werden im Kampf um Fernsehordnung die TV-Angebote der rund 30 empfangbaren Sender mal horizontal, mal vertikal auf den Seiten aufgelistet, „Spielfilm-Highlights“ der Woche gekürt, mit Strichcodes wie im Supermarkt versehen, farbige Übersichtstabellen angelegt, die mit Punkten, Sternen oder Balkendiagrammen Auskunft über die Qualität des jeweiligen TV- Stücks geben sollen, ohne redaktionelle Anleitung aber kaum zu dechiffrieren sind. Zudem fordern die gedruckten Programmhilfen den TV-Nutzer beharrlich dazu auf, die vielen als herausragend markierten Sendungen videotechnisch mitzuschneiden. So sitzt der gestreßte TV- Glotzer nun da, in der beständigen Angst, er könne bei dem überbordenden TV-Angebot vielleicht einen Spielfilm übersehen haben, den er auf seinem dritten Videorecorder noch aufzeichnen könnte. Die Zeitschrift, die ihm aus dem Dilemma befreien könnte, hat er beim eifrigen Ausschneiden der mitgelieferten Etiketten für VHS-Cassetten längst zerstört. Also kauft er das nächste Mal gleich mehrere dieser überlebenswichtigen TV-Wegweiser.
Bringen da die neuen Programmhilfen die Erlösung? Die Ergebnisse meines Medienpraxis-Tests sind negativ: TV neu aus dem Hause Springer hält nicht, was ihr Motto verspricht, nämlich „die schnelle TV- Zeitschrift“ zu sein. Im freien Fall segelt jedenfalls TV Hören und Sehen schneller zu Boden. Das gewestete Ostprodukt FF wiederum hat als sozialpädagogisches Novum einen Kinderwunschzettel entwickelt. Da aber der Fernseher längst zum elektronischen Kindermädchen mutiert ist, ist das ausgewählte Jugendprogramm wohl tatsächlich nur als ein frommer Wunsch gedacht.
Den verwirrten TV-Glotzern sei darum aus medienärztlicher Sicht empfohlen, einfach mal ganz anarchistisch ohne entmündigende Gebrauchsanweisung durchs Programm zu zappen, frei nach dem Motto: „Ich schalte, also bin ich!“
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