Keine taz mehr? Ohne mich!

■ Uns ist es ganz ernst: 5.000 Rettungsabos. Sonst ist am Jahresende Schluß

Keine taz mehr? Ohne mich! Uns ist es ganz ernst: 5.000 Rettungsabos. Sonst ist am Jahresende Schluß

Politik machen? Dazu noch alternative oder linke Politik? Ohne mich, scheinen in den letzten Jahren nicht wenige derer zu sagen, die Anfang der achtziger Jahre zur Friedensbewegung gehört haben, in der internationalen Solidarität engagiert waren oder sich dem Feminismus verschrieben hatten. Politikverdrossenheit, Ratlosigkeit der Linken, Verlust der alten Orientierungsmarken oder auch einfach der Rückzug zu Familie und Kindern — all das geht auch an der taz als alternativer Zeitung nicht vorbei. Ohne mich — haben in den letzten drei Jahren leider nicht wenige LeserInnen zur taz gesagt. Lag die Auflage im Sommer 1989, kurz vor Maueröffnung, noch bei 66.000, sind es heute, die neuen Länder eingeschlossen, gerade noch knapp 55.000.

Über die Ursachen läßt sich viel spekulieren. Während die einen die taz abbestellt haben, weil sie immer noch nicht „eine richtige, vollständige Zeitung“ sei, beklagen die anderen, die taz sei schon viel zu sehr eine „normale Zeitung“ geworden. Sicherlich sind in dem Maße, wie wir besser wurden, auch unsere LeserInnen anspruchsvoller geworden. Recht haben sie — im Prinzip. Nur läßt dies außer acht, daß die taz immer eine „unmögliche“ Zeitung war und ist. Unsere Auflage ist die einer kleineren Lokalzeitung, die die Weltereignisse bei dpa und AFP abschreibt (und unsere Anzeigeneinnahmen liegen noch weit unter denen eines Provinzblattes). Der redaktionelle Aufwand dagegen, den wir betreiben — mit drei Lokalausgaben, mit Exklusivkorrespondenten im Ausland, Reisen zu Filmfestspielen, nach Bagdad während des Golfkriegs, ins belagerte Sarajevo oder an Alaskas Küsten nach der Exxon- Havarie —, mißt sich an unserem Anspruch, die großen Überregionalen aus Frankfurt und München herauszufordern.

Für die taz zu arbeiten, bedeutet immer noch ein hohes Engagement. In der Vergangenheit hat die taz das unvermeidliche Defizit durch die Selbstausbeutung ihrer MitarbeiterInnen gedeckt. Immer wenn die Deckungslücke zu hoch wurde, kürzte man sich „freiwillig“ den ohnehin mageren Einheitslohn. Doch von einem Drittel des Tariflohns konnten auch tazler nicht mehr leben. Wir haben also die Gehälter angehoben — auf durchschnittlich (je nach Stelle und Berufserfahrung) einen halben Tariflohn... Darunter aber geht es nicht.

Andererseits sind die Kosten für fast 140 feste Stellen (auf die wir uns bis Jahresende herunterrationalisiert haben werden) noch immer mehr, als eine Zeitung mit 55.000 Auflage sich leisten kann. Aber soll die taz auf ihre Ansprüche verzichten? Wir meinen, nein. Die Lösung kann deshalb nur heißen, mehr tazzen zu verkaufen.

Wir haben es ausgerechnet: Wenn wir im kommenden Jahr kostendeckend produzieren wollen, dann brauchen wir bis zum Jahresende 5.000 zusätzliche Abos. Wir brauchen LeserInnen und FreundInnen, die auf die Frage „Keine taz mehr?“ antworten: „Ohne mich!“ Wir tazler tun das Unsrige dafür, die Zeitung unverzichtbar zu machen: Dafür stehen die „Briefe an Rushdie“ oder die dicken Reportagen aus Rostock, die taz, die nur von ImmigrantInnen gemacht wurde, oder die laufende Serie „Europa im Krieg“. Und Schritt für Schritt verbessern wir die Zeitung weiter. Eine tägliche Doppelseite „Wirtschaft und Umwelt“ ab Ende dieses Monats ist der nächste Schritt.

Doch ohne viel „goodwill“ unserer Leserschaft werden wir es nicht schaffen. Denn in einer Zeit, in der Verlage und Buchläden dichtmachen müssen, werden auch weniger Zeitungen gelesen. Und allmähliche Verbesserungen der taz allein werden uns nicht so schnell die 5.000 Neuabos bringen, die wir unbedingt brauchen. Vorstand und Aufsichtsrat der taz-Genossenschaft haben daher nach langen Diskussionen einstimmig beschlossen, unsere Leserschaft ganz ultimativ zu fragen: Was ist euch die Weiterexistenz der taz wert? Treibt euch die Vorstellung, im nächsten Jahr könnte es keine taz mehr geben, dazu, andere von einem Abo zu überzeugen? Wenn es in diesem Land nicht mindestens 5.000 Menschen als mehr bisher gibt, denen die taz (noch) ein Abo wert ist, werden Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaftsversammlung, die am 12.Dezember in Berlin tagt, empfehlen, die taz einzustellen. Wer dann nächstes Jahr bedauert, daß es die taz nicht mehr gibt, dessen Bedauern wird zu spät kommen. Dann, wenn es gerade eine laute Stimme bräuchte, um der großen Koalition, die sich heute schon von Bundeswehreinsätzen bis zum Asylrecht abzeichnet, etwas entgegenzusetzen. Michael Rediske